Auf dem ersten Blick scheint der Administrator des Forums alles richtig gemacht zu haben. Zehntausende registrierte Benutzer und hunderttausende Beiträge. An Aktualität mangelt es nicht, denn täglich kommen hunderte neue Beiträge hinzu. Erst der zweite Blick verrät: Alle Mitglieder verkaufen Viagra und bieten Roulette-Spiele an. Die Mitglieder sind sogenannte Bots – digitale Maschinen ohne Verstand.
Spamprofis sind seit langem berüchtigt dafür, Blogs und Foren mit Werbebeiträgen zu beschmieren. Für Forenbetreiber und Blogger sind sie lästige Störenfriede. Doch nicht alle Forenbetreiber bekämpfen Spam – manche sorgen sogar dafür, und zwar mit Absicht. Ein Forum, das sich von selbst und vor allem automatisch mit sinnlosen Inhalten füllt, bedeutet für einige Betreiber vor allem eines: Inhalt. Die Motivation zu einem solchen Vorgehen beruht auf den von Google derzeit noch hoch bewerteten Kriterien: Je mehr Inhalt eine Website hat und je öfter sich Inhalte ändern, desto besser wird sie im Google-Ranking bewertet. Das beste Optimierungstool scheinen daher Foren zu sein, die zwar keine sinnvollen Inhalte bieten, dafür aber dem Google-Algorithmus Aktualität und Masse vortäuschen. Auf der Suche nach einer ernsthaften Lösung landet da manch ein User in Foren, wo ihm beispielsweise Casino-Spiele oder günstige Versicherungen angeboten werden. Nicht selten fängt man sich auf diesen Sites sogar die eine oder andere Malware ein, also Tools, die sich auf dem örtlichen Computer installieren und den User meist beim Surfen mit bestimmten Werbe-Websites belästigen. Dann hilft gerade bei Laien nur der Anruf beim Computerfreak im Bekanntenkreis, der einem mühsam den Computer säubert. Ärgerlich ist es jedoch auch für Unternehmen. Auf der Suche nach speziellen Foren oder Blogs im Rahmen einer Social-Media-Kampagne fängt man sich schnell solche Malware ein, häufig sogar Werbesoftware mit pornographischen Inhalten. Die IT-Helpline freut sich dann über die Ausreden.
Vor allem die Versicherungsbranche ist voll von Werbeinhalten. Die meisten stammen jedoch von Versicherungsmaklern und nicht von den großen Versicherungsunternehmen. Blogs und Foren, die vor sinnlosen Werbetexten überquellen, beherrschen im Grunde den Versicherungsmarkt im Web. Eine Suche nach „Versicherungsblog“ und „Versiche-rungsforum“ bei Google erweckt zunächst den Eindruck, dass in diesem Bereich die Versicherer Social Media perfekt für sich zu nutzen wissen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Beim Aufrufen der Inhalte wird schnell klar: Von Social Media und Community ist hier nichts zu sehen. Vielmehr haben die Versicherungen Social Media den Vertragspartnern, also den Maklern überlassen. Und die tun derzeit, was sie wollen, haben quasi freie Bahn. Kontrollprozesse und klare Social Media Guidelines scheinen sich noch nicht etabliert zu haben. Die Makler nutzen das strategische Unwissen der Konzerne, um potenzielle Kunden mit Spam zu belästigen. Eine Domain ist innerhalb von 2 Minuten registriert. Die Installation eines Blogs via WordPress dauert ebenfalls nicht mehr als 5 Minuten. Das sind die günstigsten und schnellsten Wege für Versicherungsmakler, Suchmaschinenoptimierung (SEO) zu betreiben.
Ähnlich düster sieht die Landschaft in der Finanzbranche aus. Vor allem Blogs sind hier sehr beliebt. Im Einsatz sind zudem Tools zur Generierung und Fälschung von Foren-Mitgliedern, -Inhalten und -Statistiken. Tools und sogenannte Extensions wie beispielsweise „Fake User vb36x“ sorgen dafür, dass sich Foren und Blogs wie von Geisterhand mit Inhalten und neuen Mitgliedern füllen. Die Blogsoftware WordPress ist zudem kostenlos und bietet eine große Fülle von ebenfalls kostenlosen Designs, den sogenannten „Themes“. Aufgrund der integrierten RSS-Funktionalitäten bieten sie dem Nutzer einfachen Zugang zu den Inhalten eines Mediums. Sinnlose Inhalte können sich so innerhalb von Sekunden auch auf andere Portale ausbreiten. Wer Social-Media-Inhalte anbietet, wird derzeit von Blog-Suchmaschinen und anderen Blogsuchdiensten mit offenen Armen aufgenommen. Für viele Werbetreibende sind derartige Applikationen daher die perfekte Spam-Grundlage.
Zumindest lässt Google ein wenig hoffen: Bereits seit dem 12. April hat Google ein Update namens „Panda“ im Einsatz. Derzeit betrifft es nur englischsprachige Suchergebnisse. Mit dem Einsatz des „Panda Update“ könnten Pseudo-Inhalte aber auch in Deutschland bald der Vergangenheit angehören. Doch ganz so einfach gestaltet sich die Sache nicht. Welcher Inhalt von einem Menschen und welcher von einer Maschine geschrieben wurde, kann letztlich auch Google nicht eindeutig erkennen. Denn auch Google ist nur eine Maschine ohne Intelligenz. Das Problem kann somit nie ganz behoben werden. Lediglich die Auffindbarkeit der Werbebotschaften wird erschwert. Zumindest so lange, bis die Spammer neue Wege gefunden haben.
Wenn man sich die verantwortlichen Spamfabriken anschaut, wird man an die Anfänge des Web 1.0 erinnert. Automobilhersteller hatten damals ein ähnliches Problem, als plötzlich Autohäuser eigenständig Websites und Shops eröffneten. Diese hatten sich teilweise völlig von der Corpo-rate Identity des Unternehmens entfernt. Eigens abgewandelte Logos von Automobilmarken waren keine Ausnahme. Die Hersteller hatten den damaligen Internet-Hype verschlafen und keine eigenen Kanäle für ihre externen Vertriebler aufbauen können. So waren die Autohäuser gezwungen, selbst erstellte Homepages und eigene Gebrauchtwagenshops zu etablieren. Traurig aber wahr: Selbst nach 10 Jahren herrscht hier noch Nachholbedarf.
Das Phänomen wiederholt sich nun mit Social Media. Ohne das Wissen um die neuen Medien geistern nun erneut die Vertriebler ungesteuert und unkontrolliert im Web herum. Spamfabriken sind nur eine mögliche Folge. Den Vertriebler und Finanzmakler trifft nicht unbedingt die Schuld. Sie versuchen nach dem Prinzip des Homo Oeconomicus den bestmöglichen Vorteil für sich selbst zu erreichen – ganz so, wie sie es vom Mutterkonzern gelernt haben. Schließlich wurde der Vertriebler meist weder mit Social Media Guidelines versorgt, noch ist ihm der Mutterkonzern bei Fragen zum neuen Medium behilflich. Letztlich wundern sich dann Versicherer und Banker, weshalb ihr Image in Social Media unter den Auswüchsen leidet. Die Finanzkrise als Ausrede eignet sich immer. Die wesentliche Frage wird jedoch gerne verdrängt: „Was müssen wir tun?“