von Dr. William Sen
Die Schlagkraft eines Boxers wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, wobei die Kombination dieser Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung eines kraftvollen Schlages spielt. Unter diesen Faktoren spielen die Muskelkraft und der Bewegungsablauf des Körpers eine bedeutende Rolle, da sie die Grundlage für die Erzeugung von Kraft bildet. Darüber hinaus ist auch das gezielte Training von großer Bedeutung, um die technische Ausführung des Schlages zu optimieren und die Muskelmasse und die Körperbewegungen entsprechend auf die spezifischen Anforderungen des Boxsports auszurichten.
Muskelaufbau beim Boxtraining
Der Muskelaufbau beim Boxtraining erfolgt vor allem durch die gezielte Beanspruchung der Muskeln während des Trainings. Dies beinhaltet regelmäßiges Schlagen gegen den Sandsack, um die Muskulatur in den Bereichen zu stärken, die für die Schwingung und den Aufschlag erforderlich sind. Zusätzlich absolvieren Boxer Zirkeltraining mit Freigewichten, das darauf abzielt, die individuellen Bewegungsabläufe des Boxsports zu berücksichtigen. Im Gegensatz zum Gerätetraining variieren die Bewegungsabläufe beim Zirkeltraining je nach Boxer und können durch den Einsatz von Freigewichten individuell angepasst werden. Dadurch wird das Training auf die Stärken des Boxers fokussiert, während andere Muskelpartien, die für den Schlag und die Bewegung weniger relevant sind, weniger im Fokus stehen. Dies führt zu einer gezielten Konzentration der Muskelmasse auf die jeweiligen Schläge. Darüber hinaus beinhaltet das Zirkeltraining meist explosive Bewegungsabläufe, die darauf abzielen, Geschwindigkeit und Schlagkraft zu entwickeln. Im Gegensatz zu den langsamen und kontrollierten Bewegungen, die in herkömmlichen Fitnessstudios oft zu finden sind, werden beim Boxtraining explosive und schnelle Bewegungen eingesetzt. Dies führt nicht zwangsläufig zu einer signifikanten Zunahme der Muskelmasse, sondern vielmehr zu einer Entwicklung von flexibler Muskulatur, die auf Geschwindigkeit und Schlagkraft ausgerichtet ist.
Boxer, selbst solche mit einer vergleichsweise schlankeren Körperstatur, können eine bemerkenswert effektive Schlagkraft entwickeln, die oftmals sogar um das vielfache stärker sein kann als die von Individuen, die ihren Fokus auf hypertrophes Muskelaufbau richten, wie es typischerweise in Disziplinen wie dem Bodybuilding der Fall ist. Diese Beobachtung kann mit den spezifischen Anforderungen des Boxsports sowie den zugrunde liegenden anatomischen und physiologischen Prozessen erklärt werden.
Auswirkungen des Boxtrainings
Das Boxtraining hat nicht nur Einfluss auf die Muskelkraft und die Schlagkraft eines Boxers, sondern wirkt sich auch auf die Gelenke aus. Durch regelmäßiges Training werden die Gelenke abgehärtet und ihre Anfälligkeit für Verletzungen verringert. Zudem spielt die Rolle der weißen Blutkörperchen bei der Heilung von Gelenkverletzungen eine bedeutende Rolle. Sowohl die morphologische Anpassung der Gelenke als auch der Einfluss von Schmerzen auf die Bewegungsabläufe tragen zur Weiterentwicklung der Boxtechnik bei.
Unabhängig von der anatomischen Struktur der Gelenke, ob sie dünn oder breit sind, werden sie durch das Boxtraining abgehärtet. Während des Trainings werden die Gelenke stark belastet, was den Körper dazu anregt, weiße Blutkörperchen in die Gelenke zu transportieren. Diese weißen Blutkörperchen unterstützen die Sauerstoffversorgung der Gelenke und tragen dazu bei, dass Verletzungen schneller heilen. Somit wird der Heilungsprozess bei Gelenkverletzungen beschleunigt. Durch diese Anpassungsmechanismen sind die Gelenke von erfahrenen Boxern weniger anfällig für Verletzungen.
Anfänger-Boxer können durch Schmerzen und auch temporären Verletzungen oft im Bereich der Gelenke, die während des Trainings auftreten, dazu veranlasst werden, ihre Bewegungsabläufe zu korrigieren. Diese Schmerzen dienen als Lernmechanismus und fördern die Reprogrammierung der Schlagtechnik. Um Schmerzen zu vermeiden, werden die Schläge kontrollierter und konzentrierter ausgeführt. Durch diesen schmerzbedingten Lernprozess werden die Bewegungsabläufe im Laufe der Zeit optimiert und die Technik verbessert.
Die Gelenke von Boxern durchlaufen einen Anpassungsprozess, der sie widerstandsfähiger gegen Verletzungen macht. Dies betrifft besonders das Handgelenk, ein kritischer Punkt in der Kinematik des Schlags. Interessanterweise sind diese Effekte unabhängig von der anatomischen Breite oder Schlankheit des Gelenks.
Die regelmäßige Belastung der Gelenke durch das Training bewirkt adaptive Veränderungen auf zellularer Ebene, einschließlich der Mobilisierung von Immunzellen wie Leukozyten. Auch während Ruhephasen behält der Körper eine erhöhte Konzentration dieser Zellen in den belasteten Gelenken bei.
Im Falle einer Gelenkverletzung kann dieser erhöhte Leukozyten-Pool dazu beitragen, den Heilungsprozess zu beschleunigen. Sie sind ein integraler Bestandteil der Immunantwort und unterstützen die Regeneration und Reparatur von Geweben.
Es ist auch erwähnenswert, dass der Schmerz, der durch eine nicht optimale Schlagtechnik entsteht, als Korrekturmechanismus wirken kann. Dieser Lernprozess führt letztlich zu kontrollierteren, konzentrierteren und effektiveren Schlägen.
Ein fortgeschrittener Boxer hat eine beeindruckende Schlagkraft entwickelt und trotz der enormen Belastung auf die Gelenke und den Arm durch den ganzen Körper ist er in der Lage, Schläge mit Sicherheit, Fokus, Präzision, Kraft und somit mehr Effektivität auszuführen. Dank der Erfahrungen aus dem Training ist die Angst minimiert, sich beim Aufschlag Arm oder Gelenk zu verletzen. Dadurch wird der Schlag am Ende kraftvoll (unter Einbeziehung von Bein, Rumpf und Arm) zudem auch schnell und vor allem selbstbewusst ausgeführt.
Körpermechanik und Kraftübertragung
Einer der wesentlichen Faktoren für einen effektiven Schlag ist die optimale Nutzung der Körpermechanik des Boxers. Personen ohne entsprechende Kampfsport-Ausbildung tendieren dazu, sich primär auf die Kraft ihrer Arme zu verlassen. Ein trainierter Boxer hingegen ist durch sein Training darauf konditioniert, sein körperliches Gewicht effizient in den Schlag zu transferieren. Diese Art ist vor allem auch insgesamt bei anderen Kampfsportarten ebenfalls wiederzufinden.
Wenn das Körpergewicht erfolgreich auf den ausführenden Arm übertragen wird, erhöht sich die Durchschlagskraft des Schlages signifikant. Dieser Prozess wird oft durch eine Rotationsbewegung des Körpers beim Schlag begünstigt, wobei das Körpergewicht hauptsächlich auf den Oberkörper und weiter auf den Arm verlagert wird. Diese Technik wird insbesondere bei Trainingseinsteigern zu Beginn ihrer Ausbildung fokussiert.
In einer erweiterten Variante wird zusätzlich der untere Teil des Körpers, also die Bauch-, Oberschenkel- und Beinmuskulatur, aktiviert. Durch eine koordinierte und gezielte Zusammenarbeit dieser Muskelgruppen kann der Körper noch intensiver und zumeist auch mit höherer Geschwindigkeit nach vorne bewegt werden. Aus diesem Grund wird Boxern oftmals nahegelegt, diese Muskelgruppen und Körpersegmente stets in ihre Schlagtechnik einzubeziehen. Auf diese Weise unterstützt der Oberkörper den ausführenden Arm, während der Oberkörper wiederum von der Bauch-, Oberschenkel- und Beinmuskulatur unterstützt wird. Dieses sequenzielle Zusammenwirken ermöglicht es, dass der Schlag mit nahezu dem gesamten Körpergewicht ausgeführt wird und dadurch maximale Wirkung erzielt.
Ein versierter Boxer vollzieht bestimmte Techniken gewöhnlich so automatisiert, dass sie einem Reflex ähneln. Diese Art der Bewegung lässt sich mit dem Automatismus vergleichen, den ein erfahrener Fahrer beim Schalten von Gängen zeigt. Durch stetiges Training, wie beispielsweise am Sandsack, wird die Koordination mehrerer Aspekte – einschließlich Timing, Muskelaktivierung und Raumbewusstsein – zu einer intuitiven, reflexartigen Handlung konditioniert. Dieser automatisierte Einsatz von Körper und Muskulatur basiert auf dem Phänomen der „Muskelgedächtnis“ oder motorischen Engrammen, in denen das Gehirn Bewegungsmuster speichert und unbewusst abruft.
Der Knock-Out
Ein effektiver Schlag ist einer, der eine plötzliche Bewegung des Kopfes provoziert und dadurch ein Trauma verursacht. Wenn der Schlag, beispielsweise, am Kinn ankommt, führt die dadurch resultierende rasche und heftige Kopfdrehung zu einem Schleudertrauma, ähnlich dem bei einem leichten Auffahrunfall ohne Nackenstütze. Hierbei wird der Kopf kraftvoll zur Seite gestoßen. Ein vergleichbarer Effekt tritt auch bei Aufwärtshaken auf, weshalb sie neben Seitwärtshaken als typische K.O.-Schläge angesehen werden.
Ein kraftvoller Schlag gegen den Kopf kann eine Störung des Gleichgewichts verursachen, unabhängig davon, welcher Teil des Kopfes getroffen wird und ob eine Verletzung resultiert oder nicht. Die abrupte Erschütterung des Kopfes führt zu einem Schädel-Hirn-Trauma, das kurzzeitig zu einem Ausfall von wichtigen Hirnfunktionen führt. Dies ist eine natürliche Reaktion des Körpers, um Energie für notwendige Heilungsprozesse bereitzustellen. Zunächst wird das Gleichgewicht und damit die Mobilität außer Kraft gesetzt. Abhängig von der Schwere des Traumas, kann das Gehirn weitere Funktionen, einschließlich des Bewusstseins, abschalten. Die Körperfunktionen werden auf das Wesentliche reduziert, wie z.B. Atmung. Der betroffene Boxer liegt in solchen Fällen am Boden und ist nicht mehr reaktionsfähig. Meist sind nach einem K.O.-Schlag nachweisbare Folgeverletzungen vorhanden. Selbst bei Sparring und leichtem Boxtraining können Schläge auf den Kopf zu ähnlichen körperlichen Reaktionen führen.
Sobald der Boxer wieder aufsteht und der Körper seine Energievorräte freisetzt, kann ein Gefühl von Schwindel auftreten. Oft bleiben Gleichgewichtsstörungen bestehen, da die Energieversorgung im Körper langsam wieder ausgeglichen wird. Aus diesem Grund wird ein Boxkampf bei einem solchen Schlag in der Regel abgebrochen. Einige Boxer können zwar noch vor dem Anzählen aufstehen, sind jedoch nicht mehr in der Lage, weiterzukämpfen. Häufig unterbricht der Kampfrichter selbst den Kampf, da der Boxer in der Adrenalinflut die Situation oft nicht mehr rational einschätzen kann und weiterkämpfen möchte.
K.O.-Schläge können übrigens auch durch Körpertreffer erzielt werden. Ein Schlag in die Leber kann Schmerzen verursachen, die mit denen nach einem Schlag in den Hoden vergleichbar sind, wie viele männliche Boxer berichten. In solchen Fällen geht der Boxer instinktiv zu Boden, meist auf die Knie. Ein direkter Schlag gegen die Rippen kann zu einer Rippenfraktur führen, die je nach Art des Bruchs den Boxer ebenfalls instinktiv zu Boden gehen lässt.
Warum sind Boxer nicht immer bewusstlos?
Es gibt mehrere Faktoren, die erklären, warum ein Boxer nicht ständig durch zu Boden gehen. Einer davon ist die beständige Verteidigungshaltung, die den direkten Schlägen weitestgehend entgegenwirkt. Die Mehrzahl der Schläge, die ein Boxer erhält, sind gerade Schläge, die tendenziell weniger kinetische Energie im Vergleich zu einem Seitwärts- oder Aufwärtshaken haben. Zudem ist der Kopf bei einem geraden Schlag aufgrund der stabilisierenden Nackenmuskulatur sowohl hinten als auch vorne besser gegen Schläge geschützt — ausgenommen bei einem Aufwärtshaken. Infolgedessen ist die Wahrscheinlichkeit eines traumatischen Hirnverletzungen (Trauma), bei dem der Kopf stark nach hinten geschleudert wird, reduziert. Stattdessen neigt der Kopf dazu, seitlich auszuweichen, was den Seitwärtshaken zu einer bevorzugten Technik für Knockout-Versuche macht.
Ein weiterer Faktor ist das kontinuierliche Ausweichverhalten, das direkte Treffer minimiert. Im Kampf bewegt sich ein Boxer ständig, um zielgerichtete Schläge zu vermeiden. Dies führt dazu, dass viele scheinbar direkte Schläge in Wirklichkeit nur abstreifen. Obwohl sie für die Punktebewertung zählen, reduziert die Bewegung des Gegners die Wucht des Schlags, was oft dazu führt, dass der Schlag nicht direkt auf in voller Stärke trifft. Dies bedeutet, dass der Schlag entweder abgleitet oder den Gegner während seiner Bewegung nicht vollständig trifft, was dazu führt, dass ein Großteil der Schlagkraft verloren geht und nicht ausreicht, um ein Trauma zu verursachen.
Einige Boxer sind zudem bemerkenswert widerstandsfähig gegenüber traumatischen Hirnverletzungen und können Schläge absorbieren, ohne das Bewusstsein zu verlieren. Ein Beispiel hierfür ist der Kampf zwischen Evander Holyfield und Nikolai Walujew im Jahr 2008. Trotz vieler direkter Treffer konnte Holyfield seinen Gegner nicht zu Boden bringen. Dies illustriert, dass die Fähigkeit, einen Knockout zu erzielen oder zu verhindern, nicht nur von der Technik, sondern auch von individuellen Faktoren wie der Körperkonstitution und der Resilienz des Boxers abhängt.