von D. Ernenputsch
Um die Wichtigkeit des Usenet für die Quellen einzuordnen, die wir heute mit dem Oberbegriff Social Web bzw. Social Media umschreiben, ist es notwendig, die „üblichen Verdächtigen“ wie Facebook, Twitter oder Blogs um einen unverzichtbaren Artgenossen zu erweitern.
Im deutschsprachigen Raum ist keine Social-Web-Quelle – so modern sie sich auch präsentieren mag – so einflussreich wie das Forum. Foren ermöglichen im Gegensatz zu Blogs die Kommunikation ihrer Mitglieder auf der gleichen Ebene und im Vergleich zu Tweets sind sie nicht in ihrer Ausdruckskraft beschränkt. Außerdem treffen sich in Foren häufig Experten eines Themas. Damit zeigen sich Foren weit weniger oberflächlich als zum Beispiel Facebook. Obwohl Foren bereits um einiges älter sind als alle Definitionen des Social Web oder Web 2.0, treffen gleichzeitig sämtliche Anforderungen dieser Form des Web auch auf Foren zu. Wer folglich das Forum bei seiner Betrachtung des Web außer Acht lässt, vernachlässigt die wichtigste Quelle im Social Web.
Usenet steht für „Unix User Network“ und bezeichnet ein Netzwerk, in dem die Teilnehmer miteinander diskutieren und Dateien austauschen können. Das Usenet setzt sich dabei aus sogenannten Newsgroups zusammen, die jeweils einem Thema gewidmet sind. Eine Newsgroup ist eine Art Schwarzes Brett für ein bestimmtes Thema. Insgesamt gibt es im Usenet mehr als 100.000 solcher Themen, wie beispielsweise de.soc.politik.misc (eine Newsgroup für politische Diskussionen). Sie können von jedem Nutzer des Usenet aufgeworfen werden. Daraufhin kann sich jeder beliebige Nutzer an dem neuen Thema beteiligen, denn die Newsgroup ist allen zugänglich.
Mit dem Usenet wurde 1979 der Urgroßvater aller Web-Foren entwickelt, bevor es das Web überhaupt gab. Dementsprechend bestehen grundsätzliche Unterschiede zwischen Usenet und Foren. Zum Beispiel erfordert der Besuch eines aktuellen Diskussionsforums einen Browser. Um hingegen Zugriff auf die Newsgroups des Usenet zu erhalten, ist ein sogenannter Newsreader notwendig. Der Nutzer kann nun die Inhalte der Newsgroup lesen oder selbst Beiträge auf den Server laden.
Das Usenet sieht mit „News“ und „Mail“ zwei Kommunikationskanäle vor. News sind in diesem Zusammenhang mit öffentlich zugänglichen Threads vergleichbar, Mails eher mit privaten Nachrichten an einen oder mehrere Empfänger. Hinsichtlich der Inhalte im Usenet besteht mit aktueller Software zwar keine Einschränkungen mehr, trotzdem sind die Beiträge meist rein textbasiert. In bestimmten Newsgroups können den Beiträgen außerdem Daten angehängt werden.
Auch die Organisation des Usenet unterscheidet sich signifikant von der Community in Online-Foren. Da das Usenet dezentral vorliegt, ist vor allem die Zensur von unangebrachten Inhalten nicht nur einer einzigen Gruppe von Nutzern vorbehalten. Stattdessen können Beiträge von allen Teilnehmern gelöscht werden. Dies wird Third Party Cancel genannt und ist in den meisten Newsgroups zulässig. Lediglich in einzelnen Fällen gilt das nicht und das Löschen von Beiträgen ist lediglich dem Ersteller der Newsgroup und dem Administrator des Servers gestattet, auf dem die Newsgroup liegt. Das bedeutet jedoch auch, dass sich das Löschen eines Beitrags nicht unbedingt auf die übrigen Server überträgt, die am Usenet angeschlossen sind.
Da die Darstellung des Usenet stark vom Newsreader abhängt, mit dem die Informationen abgerufen werden, werden systemübergreifende Hierarchien verwendet, um die Struktur des Usenet abzubilden. Hierbei konkurrieren verschiedene Systeme miteinander: Die im deutschsprachigen Raum heute vorherrschende Hierarchie de.* entstand beispielsweise aus der Fusion der Hierarchien dent.* und sub.*. Die eingesetzte Hierarchie bestimmt vor allem den Namen der Newsgroup, die Angaben über die darin diskutierten Inhalte macht. So werden zum Beispiel in einer Newsgroup mit dem Prefix „de.markt“ Sachgegenstände und Dienstleistungen angeboten und gehandelt. Diskussionen zur Freizeitgestaltung finden sich beispielsweise in Groups mit dem Prefix „de.rec“. Zum Bereich Recreation gehören dementsprechend Filme, Sport und Musik. Zudem können sogenannte Third Levels definiert werden, die das Thema noch weiter eingrenzen. Je mehr Hierarchieebenen bestehen, desto enger wird das Diskussionsthema gefasst und umso verschachtelter wirkt die Struktur des Usenet. Wer sich also für Eishockey interessiert, sucht zum Beispiel alle Gruppen mit „de.rec.sport.eishockey“ und Fußballfans alle mit „de.rec.sport.fussball“.
Das Usenet erlaubt im Grunde die gleiche Kommunikationsqualität wie Foren und ist thematisch ähnlich breit aufgestellt. Eine besondere Eigenschaft des Usenet ist es, auch Dateien als Anhänge zu posten. Newsgroups, in denen das Teilen von Dateien möglich ist, heißen „binary news groups“. Somit bietet das Usenet auch eine Plattform, über die urheberrechtlich geschützte Werke verbreitet werden können. Vor allem Filme und Spiele finden sich entsprechend häufig im Usenet. Ein Großteil der Dateien enthält zudem pornografische Inhalte. Das Auffinden der gewünschten Dateien ist dank spezieller Usenet-Suchmaschinen kein Hindernis.
Aufgrund der enormen Menge an Daten liegen nicht auf allen Servern sämtliche Daten vor. Vor allem Google bietet mit seiner Dienstleistung Google Groups nur die Möglichkeit, reine Textdaten aufzufinden. Den kommerziellen Anbietern dagegen, die die Daten des Usenet auch kostenpflichtig anbieten, sind die Daten inklusive ihrer Anhänge teilweise bis auf 3 Jahre rückwirkend verfügbar, was ca. 10 Petabyte an Daten entspricht.
Somit verschiebt sich der Fokus der Newsgroups immer weiter in Richtung rechtlich fragwürdiger Tauschbörsen. Bereits 2007 erwirkte die Musikverwertungsgesellschaft GEMA eine einstweilige Verfügung gegen einen News-Server-Betreiber namens „UseNext“. 2011 musste der niederländische Dienst News Service temporär vom Netz gehen, nachdem er gerichtlich zur Entfernung aller urheberrechtlich geschützten Inhalte verpflichtet worden war. Dennoch sind diese vereinzelten Klagen aufgrund der Dezentralität des Usenet wenig erfolgversprechend.
Insbesondere vor dem Hintergrund des Usenet als Grenzgänger zwischen legaler und illegaler Nutzbarkeit sollten sich auch Unternehmen die Frage stellen, ob und inwiefern sie Mehrwert aus dem Usenet generieren können. Für großflächige Marketing- und PR-Kampagnen ist das Usenet wegen seiner Verborgenheit zum Beispiel ungeeignet. Denn nur wenige Nutzer kennen das Usenet oder wissen, über welche speziellen Reader Inhalte aus dem Usenet zu finden sind.
Klassische Suchmaschinen finden das Usenet meist gar nicht. Entsprechend eng ist die Community definiert – neue Nutzer stoßen nur selten hinzu. Für die Verbreitung von unternehmensspezifischen Informationen sind dies denkbar schlechte Voraussetzungen. Zudem handelt es sich bei der Klientel des Usenet nur vereinzelt um seriöse Nutzer, so dass das Usenet mittlerweile als Spielplatz für „Freaks“ einen eher schlechten Ruf hat. Auch die dezentrale Organisation und die damit einhergehende mangelnde Kontrolle des Usenet erschweren die Nutzung für gewerbliche Zwecke. Stattdessen beinhaltet es eine hohe Menge von obszönen Postings samt unzähligen Spam-Postings. In seiner jetzigen Form ist das Usenet daher als Plattform für Unternehmensaktivitäten nicht geeignet.
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