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Wird bald die große Wende in der Schlacht der „Old Economy vs. New Technology“ eingeläutet? Beide Parteien – Millionen von Filesharen auf der einen sowie die Millionen Dollar schwere Entertainment-Industrie auf der anderen Seite könnten die Visiere hochklappen, um sich mal unvoreingenommen die Verwüstungen anzusehen, die inzwischen angerichtet worden sind. Sie könnten zu einem Kompromiss finden.
Das werden sie natürlich nicht tun. Aber die Meldung, die Anfang März über den Medienticker von heise.de verbreitet wurde, ließ doch aufhorchen: „Das Internet wird zum Hoffnungsträger der Musikbranche“. Wie bitte? Noch vor drei Jahren hatte ein Buchtitel das kommende „Ende der Musikindustrie“ angekündigt, zusammengebrochen unter dem Ansturm von P2P-Nutzern, die wie der schlaue Igel dem dummen Hasen immer eine Nasenlänge voraus waren. Wie sich herausgestellt hat waren solche Meldungen über ein baldiges Ableben der Branche verfrüht. Stattdessen sind zahlreiche Internetdienste eingegangen. Ob Napster, KaZaA, Grokster wer immer sich mir den Branchenriesen anlegte, wurde aufgekauft oder in Grund und Boden verklagt – wenn nicht gar auf entfernte Südseeinseln verbannt. Parallel zur Peitsche werden zaghaft Krümel von Zuckerbrot eingesetzt. Apple machte den Anfang, andere folgten. Mittlerweile liefern sich die beiden Platzhirsche des legalen Musicdownloads in Deutschland, T-Online (musicload.de) und Apple (iTunes), mit immer neuen Statistiken und unbelegten Behauptungen eine PR-Schlacht um die Frage wer mehr MP3s an den User und die Userin bringt. Über eine Milliarde Songs will Apple seit April 2003 verkauft haben, Musicload ließ daraufhin verbreiten, man habe im vergangenen Jahr rund ein Viertel mehr Titel abgesetzt als die Konkurrenz, Tendenz steigend. Von aktuell fünf auf bis zu „dreißig Prozent“ soll der Anteil des Umsatzes anschellen, den die Musikbranche durch den Verkauf ihrer Produkte übers Internet einnimmt, wird Frank Briegmann; Deutschlandchef von Universal Music, in der Heise-Meldung zitiert.
Die juristische und politische Debatte um die erneute Novelle der Novelle, den so genannten „Zweiten Korb“ des Urheberrechts, mag da nicht so recht ins Bild passen. Vielleicht liegt es daran, dass sie ohnehin schon um Jahre hinter dem eigenen Zeitplan zurückliegt. Und wenn es um Lobbyarbeit geht, klagt die Content-Industrie auch weiterhin bloß fleißig über die horrenden Umsatzverluste, die ihr angeblich durchs Netz entstehen. Gerade so, als hätten nicht jüngst die Arctic Monkeys vorgemacht, wie man dank kostenloser Verbreitung seiner Songs im Internet von Null auf Eins in den Single-Charts gelangt und für ausverkaufte Konzerthallen sorgt. Bei einer Anhörung des Bundesjustizministeriums zur zweiten Stufe der Urheberrechtsreform im Januar waren die Fronten verhärtet wie eh und je. Auch der x-mal umgearbeitete Gesetzentwurf wurde weiterhin von den verwerten abgelehnt. Vor allem die von Justizministerin Zypries vorgeschlagene Regelung nach der das Herunterladen der für den privaten Gebrauch erstellten Kopien aus dem Internet „in geringer Zahl“ straffrei bleiben soll, stieß auf wenig Gegenliebe. Neben der SPD verteidigen nur noch die Grünen diese so genannte „Bagatekllklausel“ und selbst die Linkspartei spricht sich gegen sie aus.
Zwei aktuelle Publikationen zum Thema Kultur – und was das Internet bzw- der „War on Piracy“ daraus machen – erlauben einen Blick über den Tellerrand der Tagesdebatten hinaus „Frei Kultur“ Lautet der Titel Übersetzung des neusten Buches des Rrechtsprofessor und Begründers der Creative Commons-Bewegung Lawrence Lessig (SPEX 08/04). Wer glaubt, in der Copyright-Diskussion gehe es nur um die Transformation überkommener Regelungen ins Internet-Zeitalter, muss nach der Lektüre umdenken. Zu den deprimierendsten Ergebnissen Lessigs gehört wohl die Einsicht, dass Auffassungen die vor nicht einmal dreißig Jahren einem gesunden Menschenverstand zugeschrieben wurden und für einen Interessenausgleich gesorgt hatten, heute als radikal und unmöglich eingestuft werden. Die Bedingungen der Produktion und Rezeption von Kultur, so Lessigs Globalthese, werden grundlegend verändert – allerdings nicht zugunsten des Internets, wie dessen Anhänger gerne glauben, sondern nach den Vorgaben der einflussreichen Lobbys der Unterhaltungsindustrie. Statt Fortschritt gibt es Rückschritt. Niemals zuvor haben so wenige Instanzen einen solch mächtigen Einfluss darauf gehabt, was geschrieben, gesehen, gehört werden darf.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt das Autorenduo Jan Krömer/William Sen in „NO COPY„. Hier spricht quasi die Szene selbst: Bekenntnisse aus dem Underground der Cracker, Release Groups und sonstigen Schwarzfahrer des Urheberrechts. Deshalb ist konsequenterweise auch nur von „Schwarzkopien“ die Rede. Wer sich vom etwas dick aufgetragenen Jargon nicht stören lässt, erhält Einblick in eine Art Paralleluniversum, das aus einer Laune heraus eben mal eine Industrie pulverisieren, so gar nicht entsprechen will. Im Gegenteil – so oft ist da von Ethik, Tradition, Selbstregulierungm das höhere Streben nach Ruhm und Ehre und Idealismus unter Hackern zu lesen, dass man bald glaubt, der CVJM habe sich als Ghostwriter eingemischt. „NO COPY“ behauptet: „Raubkopierer“ sind keine Kulturzerstörer, sondern echte Traditionalisten und die Avantgarde zugleich. Da mag man vielleicht nicht vollem Umfang zustimmen, aber rückhaltlose Affirmation und Euphorie in Bezug aufs eigen Tun und Können haben (fast) noch nie geschadet, wenn der Gegner groß, böse und hoffnungslos rückständig ist. Glühendere Verachtung als für die multinationalen Rechteverwerfer hält die Szene allerdings immer noch für deijenigen bereit die über übers Filsharing bloß abschöpfen, was andere mühsam in Umlauf gebracht haben. Lessig und „NO COPY“ sind in ihren Ansätzen jedenfalls so verschieden und so komplementär zugleich, dass sie im Doppelpack eine prima Einübung in stereoskopisches Denken zum Thema „Urheberrecht und was uns das angeht“ bieten.
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