von P. Mühlbauer
Ein Buch führt ein in die Welt der digitalen Raubkopie: Das Buch ist nicht so schlecht wie der reißerische Titel und die Tatsache, dass einer der Autoren für Stern-TV gearbeitet hat, befürchten lassen. Der Kampfbegriff „Raubkopie“ aus dem Titel wird im Buch zugunsten des neutraleren „Schwarzkopie“ aufgegeben und in ihren Schlussfolgerungen liegen die beiden Autoren oft intuitiv richtig– allerdings ohne die ökonomischen, politischen und technischen Kausalketten richtig durchzuargumentieren. Hier hätte eventuell ein Blick in die neuere theoretische Literatur zum Thema, etwa in die Schriften von James Boyle, Josh Lerner, Michael Perleman, Adam Thierer, McKenzie Wark oder Siva Vaidhyanathan, nicht geschadet. So wird bei Krömer und Sen das eher Unwichtige zur Hauptsache, während das Wichtige und Interessante oft nur in Nebensätzen vorkommt.
Die Autoren konzentrieren sich auf Release- und FXP-Groups – eine Art elektronischer Sport-Subkultur, der es um die möglichst schnelle aber nicht lizenzierte Aufbereitung möglichst neuer Software und Unterhaltungsmedien geht.
Andere Formen der absichtlichen und unabsichtlichen Schwarzkopie bekommen weit weniger Raum. Zum Beispiel der Bereich Filesharing. Ein schwerer Mangel in der ohnehin nicht sehr ausführlichen Darstellung des Phänomens ist die Behauptung, dass keine klare Unterscheidung von Up- und Download möglich sei. Hier versäumen es die Autoren nicht nur, wenigstens ansatzweise auf die technische Seite von Filesharingprogrammen einzugehen, sondern auch zu differenzieren: Bei eMule etwa erfolgt durch das „Chaining“ beim Download zwangsweise auch ein Upload, während bei Soulseek der Upload gar nicht oder nur für einen begrenzten Freundeskreis freigegeben werden kann, mit dem auch kommuniziert wird. Auf diese Weise bietet Soulseek eine – von Krömer und Sen nicht erwähnte – legale Möglichkeit zum Upload. Ebenfalls unerwähnt bleiben Systeme die verschlüsseln und anonymisieren, wie die Kombination i2p/Azureus.
57 Millionen Amerikaner nutzen Filesharingprogramme – mehr als für Präsident Bush stimmten. Das steht in „NO COPY„. Was nicht darin steht, ist, dass es sich bei den Vorschriften, gegen die beim privaten Kopieren verstoßen werden kann, nicht um Eigentumsrechte, sondern um Monopolrechte handelt – und dass ein Großteil dieser Monopolrechte erst in den letzten Jahrzehnten geschaffen wurde – ein Grund, weshalb sie einem Großteil der Bevölkerung alles andere als „natürlich“ erscheinen. Was ebenfalls nicht in „NO COPY“ steht, ist, dass diese Gesetze gegen den breiten Willen der Bevölkerung nur über den Umweg internationaler Verträge ohne demokratische Beteiligung oder Kontrolle durchgesetzt wurden.
Teilweise scheinen die Autoren einem naiven Glauben an Selbstorganisation anzuhängen, der wirtschaftliche Macht nicht ausreichend berücksichtigt. Dies führt zu Fehlschlüssen wie dem, dass bei Wikipedia-Artikeln „am Ende das Faktenwissen siegt“. Nicht nur die PR-Einträge von Siemens bewiesen in den letzten Wochen eindrucksvoll, dass dem durchaus nicht so sein muss. Das Rückverfolgen und Verklagen von Millionen Nutzern sei „schlichtweg unmöglich“ befinden Krömer und Sen weiterhin. Tatsächlich ist dies keineswegs unmöglich, sondern für die Medienindustrie ein verlockend profitables Geschäftsmodell: Wenn Verbraucher die neue Musik nicht mehr kaufen, lasst man sie eben per Abmahnung für die alte zahlen. Das freilich erfordert eine Aufhebung des Datenschutzes im Bereich Internet – aber genau die ist in Form einer weiteren EU-Richtlinie zur „Vorratsdatenspeicherung“ bereits unterwegs. Eine Richtlinie, die die präventive Überwachung des Telekommunikationsverhaltens aller Bürger sichern soll.
Krömer und Sen legen zwar dar, dass eine Schwarzkopie kontextabhängig ist, gehen jedoch viel zu wenig auf den, durch undurchsichtig gehaltene Lizenzen hervorgerufenen, Effekt der unabsichtlichen Schwarzkopie ein, wie sie etwa in mittelständischen Unternehmen, die Microsoft-Serversoftware einsetzen, nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall ist. Ein Effekt der mit zunehmender Gewährung neuer Monopolrechte für Medienunternehmen auch Privatanwender betrifft: In Italien etwa sorgte der Medientycoon Silvio Berlusconi dafür, dass der Begriff „missbräuchlich“ in der italienischen Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie absichtlich nicht näher definiert wurde, so dass er auch zugunsten eines Verbots jeder vom Rechteinhaber nicht genehmigten Handlung interpretiert werden kann – zum Beispiel gegen das Wegschalten von Fernsehwerbung.
Die im Zusammenhang mit Schwarzkopien wichtigen Trusted-Computing-Bestrebungen fehlen bei Krömer und Sen ganz, Digital Rights Management wird als „Kopierschutz“ verharmlost. Beide Maßnahmen schaffen jedoch die Voraussetzungen für eine Abhängigkeitsökonomie, mit der Marktmechanismen bei der Preisbildung zu Lasten der Verbraucher außer Kraft gesetzt werden. Dadurch können Medienunternehmen täglich die Preise erhöhen oder die Lizenzbedingungen verschlechtern, ohne dass sich der Verbraucher dagegen wehren kann.
Ebenfalls zu wenig eingegangen wird auf den Microsoft-Effekt, der besagt, dass Schwarzkopien Monopole etablieren helfen. Ist der Standard einmal etabliert, werden die monopolrechtlichen Daumenschrauben angezogen.
Der Hauptmangel des Buches liegt allerdings im technischen Bereich. Selbst für ein Sachbuch, das sich an eine breite Öffentlichkeit wendet, wird die Technikvermeidung zu weit getrieben. Anders als die Autoren schreiben, wäre eine technische Auseinandersetzung mit dem Thema durchaus auch jenseits von „Zahlentabellen und Prozessorbefehlen“ möglich. Der wahre Grund warum das Buch die Technik meidet wie der Teufel das Weihwasser dürfte eher im Verbot des Erklärens von Umgehungstechnologie im neuen Urheberrecht und in einer Selbstzensur des Verlages liegen. Auf Seite 95 schreiben die beiden Autoren selbst: „Das Veröffentlichen oder Verbreiten von Anleitungen zum Umgehen eines Kopierschutzes wurde untersagt“. Ein Autor darf in Deutschland zwar seinen Lesern erklären wie eine Atombombe funktioniert, aber er macht sich strafbar, wenn er darlegt, wie sich DVDs kopieren lassen. Das freilich hat Folgen für die Qualität der Bücher zum Thema.
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