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Nach den jüngsten Wellen der Userkriminalisierung und dem Start der Protestkampagne „WirHabenBezahlt“ befragten wir mit William Sen und Jan Krömer zwei Autoren, die zu den Themen Raub- bzw. Schwarzkopien und den wenig erfolgreichen Eindämmungsversuchen durch die Industrie einiges an Fachwissen zu bieten und auch vieles zu sagen haben.
In den 90er Jahren komponierte der Buchautor von NO COPY William Sen, seine ersten Musikstücke für Diskettenmagazine und trat später der in Deutschland beheimateten Demogruppe Nuance bei. 1998 und 1999 organisierte er zusammen mit anderen Mitgliedern der Demoszene die Computerparty „Cologne Conference“. Vielen Besuchern dieser Party wird der überaus gelungene Anti- Gravenreuth-Dart- Wettbewerb noch lange im Gedächtnis bleiben. Im Verlauf des Wettbewerbes, bei dem auf ein stark verfremdetes Konterfei des Rechtsanwaltes Dartpfeile geworfen wurden, erschien dieser völlig überraschend und bat darum, an der Verulkung seiner eigenen Person teilhaben zu dürfen. 1998 wurde er noch freundlich aber bestimmend gebeten, die Veranstaltung zu verlassen. 1999 hat man ihm die Teilnahme gewährt. Dies hat dem Abend, wie man am Bild gut ablesen kann, viele Lacher und ironische Höhepunkte eingebracht.
Im gleichen Jahr erschien das erste Buch von Sen, „Hackerland“, dass er und der Schauspieler Denis Moschitto, ebenfalls ein ehemaliger Amiga Musiker, gemeinsam verfasst haben. Fast parallel dazu fing er an, sich beim Magazin „AMIGAplus“ mit Artikeln über die AmigaSzene einen Namen zu machen. 2000 legten Moschitto und er mit dem Kurzgeschichtenband „Hackertales“ nach. Denis Moschitto fiel danach als Co-Autor aus, er hatte mit Rollen in Filmen, wie „Nichts bereuen“, „Süperseks“ oder „Kebab Connection“ endlich den so lange erhofften Durchbruch als Schauspieler geschafft. Für redaktionelle Arbeiten jeglicher Art blieb keine Zeit mehr.
Gulli.com: William, da ist dem Tropen Verlag am Anfang euren Buches ein Schnitzer unterlaufen. Du wirst als Mitglied von verschiedenen Hacker-Szenegruppen tituliert. Mir ist bekannt, Du warst lediglich in deiner Freizeit als Musiker und als Modemtrader von diversen Amiga-Crackinggroups tätig. Dass Du dich mit dem Thema Hacken aktiv beschäftigt hast, ist mir völlig neu.
William: Die Informationen des Verlags sich durchaus korrekt. Ich verstehe natürlich, dass sich Computerbegeisterte in jeglicher Form differenzieren und sich dem Computerjargon entsprechend titulieren. Es entstehen Begriffe wie beispielsweise: Software-Cracker, Crackergruppen-Mitglied, Computerbastler, -grafiker, -musiker, -faszinierter, -artist, etc. Es hat sich aber gezeigt, dass der Begriff „Hacker“ all diese Formen der Aktivitäten gut zusammenfasst und in seiner ursprünglichen Bedeutung auch sehr gut beschreibt.
Gulli.com: Nun, das ist Ansichtssache. Aber eins vorweg: Wir haben uns sehr gefreut, dass NO COPY im Gegensatz zu „Hackerland“ weit mehr in die Tiefe geht und viel mehr Arbeit, die in die Recherche investiert wurde, vermuten lässt. Wie kam es dazu? Andererseits hätten wir uns über 100 Seiten mehr Inhalt auch nicht beschwert.
William: Das Buch Hackerland haben wir 1996 geschrieben. NO COPY geht einen wesentlichen Schritt weiter und ich würde NO COPY daher ungern mit anderen Büchern von mir vergleichen. Zumal bei NO COPY Jan Krömer auch Autor ist.
Jan: Bei Bei NO COPY haben wir uns auch einem breiteren Thema, nämlich dem Phänomen „Raubkopien“ in seiner Gesamtheit gewidmet. Das erfordert naturgemäss viel Recherche, wobei ich nicht finden kann, dass „Hackerland“ nicht in die Tiefe gehen würde. Und sicherlich hätten wir für NO COPY noch Stoff für 100 Seiten mehr gehabt. Wir glauben aber, dass das Buch in seinem jetzigen Umfang einerseits das Thema „Raubkopien“ sehr umfassend darstellt und dabei trotzdem noch spannend und interessant zu lesen ist ohne langatmig zu werden.
Gulli.com: Was mich immer wieder verwundert: Kann man tatsächlich Hacker, Cracker, Filesharer und Autoren von freier Software zusammen in einen Topf werfen? Ihr beiden belegt zwar, dass die Mitglieder all dieser Teilbereiche vergleichbare Ziele verfolgen. Aber die Intention, die hinter deren Tätigkeit steckt, ist doch sehr verschieden. Oder?
William: Die Intentionen sind sehr verschieden. Jede Subkultur hat eigene konkrete Werte und Normen. Ich denke, diese Gruppen in einen Topf zu werfen, wäre merkwürdig und nicht richtig. Ich kenne auch niemanden, der das macht. Wir haben bei NO COPY diese einzelnen Gruppierungen in durchaus differenzierten Modellen und Kontexten beschrieben. Es ist wichtig, die einzelnen Motivationen und Denkweisen der verschiedenen Computer-Subkulturen zu verstehen.
Gulli.com: Welche Reaktionen habt Ihr von den jeweiligen Fraktionen über diese künstliche Vereinheitlichung erhalten?
Jan: Eine „Vereinheitlichung“ findet ja gar nicht statt, da wir ja durchaus auch Unterschiede aufzeigen. Dass man aber auch Gemeinsamkeiten aufzeigt, ist nicht künstlich, sondern liegt vielmehr auf der Hand. Es geht nun einmal um die Verbreitung von Daten und Informationen in digitaler Form. Natürlich spielen da unterschiedliche Motive eine Rolle, aber trotzdem widmen sich alle in irgendeiner Form dieser einen Sache. Die Reaktionen sind dabei durchaus gemischt. Natürlich wehren sich viele Szenemitglieder, mit einer „Nachbarszene“ in Verbindung gebracht zu werden. Dieses Phänomen ist ja eigentlich in jeder Subkultur zu beobachten.
William: Wir haben aber auch Verfechter diverser „Fraktionen“, die unsere Arbeit klasse fanden und sich darüber gefreut haben, dass ihrer Arbeit und dem Phänomen der Verbreitung digitaler Daten solche Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ich denke, eine kontroverse Diskussion ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das zeigt, dass sich die Leute mit den Themen intensiv beschäftigen und anfangen nachzudenken.
Gulli.com: In dem Buch wird sehr ausführlich erläutert, warum der Begriff Raubkopie nicht zutrifft. Als was würdet Ihr eine illegale MP3-Musikdatei, oder ein PDF von einem Ebook stattdessen bezeichnen?
Jan: Ein „Raub“ ist ja, sowohl im Gesetz als auch im allgemeinen Sprach- gebrauch, eine Form des Diebstahls, bei dem etwas mit Gewalt entwendet wird. Beim Kopieren von Musik oder Büchern kann davon aber keine Rede sein. Zudem wird bei einem Diebstahl davon ausgegangen, dass der Beraubte den Gegenstand, der ihm gestohlen wurde, nicht mehr besitzt. Auch dies ist beim so genannten „Raubkopieren“ nicht der Fall. Wir verwenden daher im Buch den Begriff „Schwarzkopie“, der viel weniger wertend ist.
Gulli.com: Zwar wird den Lesern sehr deutlich veranschaulicht, inwiefern die Industrie mit ihren Stategien versagt hat. Was aber haltet Ihr als Lösung parat? Was soll z.B. die Musikindustrie tun, um die Verkaufszahlen der Alben ihrer Bands wieder in die Höhe schrauben zu können? Ist es alleine eine Frage der Qualität der angebotenen Produkte, vielleicht des Preises, des Marketings?
William: Es ist der gesunde Mix aller Faktoren. Was die Musikindustrie braucht ist ein Umdenken, also ein ganz klarer Change-Prozess. Für jedes Unternehmen, das eine bestimmte Grössenordnung erreicht hat, ist es schwer, sich bei technologischen Änderungen den neuen Gegebenheiten anzupassen. Wir beobachten das ständig. Es müssen neue Strukturen und Geschäftsmodelle aufgebaut werden, die auf die neue Umgebung zugeschnitten sind. Die Strategie, sich mit alten Modellen gegen die neue Zeit zu stellen, muss aufgegeben werden.
Gulli.com: Was haltet ihr in diesem Zusammenhang von unserer Aktion Wir Haben Bezahlt ?
Jan: Eine sehr interessante Aktion. In NO COPY tauchen Eure drei Hauptforderungen ja auch in der Beschreibung der Fehler der Musikindustrie auf. Es ist natürlich unheimlich schwer die Industrie in ihren alten Denkstrukturen zu beeinflussen. Aber es ist absolut zu wünschen, dass eine solche Aktion mit klaren Zielen auch die Aufmerksamkeit der Plattenfirmen finden wird. Es ist ja vor allem nicht nur den Konsumenten sondern auch den Plattenfirmen selbst zu wünschen.
Gulli.com: Das ist wohl wahr. Könnte es nicht doch sein, dass die Strategie der Industrie, die vor allem mit breit gestreuter Panikmache in der Bevölkerung vor Filesharing oder ähnlichem abschrecken will, am Ende nicht doch aufgeht?
William: Das würde funktionieren, wenn das Internet nicht frei zugänglich wäre und die Industrie die Kontrolle darüber hätte. Das ist aber zum Glück nicht der Fall. Solange Nutzer in diesem Medium ihre Netzwerke erweitern und Interessensgemeinschaften bilden, wird die Industrie eher eine Gegenreaktion auslösen, als ihre Interessen durchzusetzen. Das ist ja jetzt bereits der Fall.
Jan: Wenn man sich die Nutzerzahlen der Filesharing-Netzwerke angucke, sieht es wirklich nicht danach aus, dass die Strategie der Industrie aufgeht. Darüber hinaus schreitet ja auch die Technik immer weiter voran. Bandbreiten steigen, neue Clients entstehen, die Anonymisierung wird stetig verbessert. Ich denke, die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Industrie gegen die Technik sowie gegen die Masse an Nutzern und freiwilligen Programmierern machtlos ist.
Gulli.com: Konkreter gerfragt: Gibt es eine reale Chance, dass durch die Infiltration der Warezszene dieser irgendwann eventuell nicht doch, und sei es nur in Deutschland, der Garaus gemacht wird?
Jan: Auch dies halte ich für unwahrscheinlich. Natürlich werden immer wieder einzelne Gruppen zerschlagen. Aber das auch schon seit fast 25 Jahren ohne wirklichen Erfolg. Es kommen immer neue Gruppen nach, die sich noch besser absichern. Die Verfolger glauben ja auch selber nicht, dass sie die Szene als Ganzes zerschlagen können. Es wurde uns ja auch seitens der Ermittler gesagt, dass es gar nicht das Ziel sein kann der Szene den Garaus zu machen. Es geht ihnen nur darum „Sand ins Getriebe“ zu streuen.
Gulli.com: Immerhin hatten die bisherigen Aktionen zum Ergebnis, dass kaum noch wirklich wichtige, illegale ftp server mit der entsprechenden Anbindung in Deutschland lokalisiert sind. Um es bewusst provokativ auszudrücken: Ist ein „Endsieg“ gegen die Raubkopierer möglich? Ist er überhaupt erstrebenswert?
Jan: Ein „Endsieg“, wohl ein eher etwas unglücklich gewählter Begriff, ist meiner Meinung nach wie bereits erklärt nicht möglich. Ob er erstrebenswert wäre, muss jeder für sich selbst entscheiden. Aus der Sicht des Gesetzes ist er das sicher, denn es handelt sich beim „Raubkopieren“ nun mal um eine illegale Tätigkeit. Viele Nutzer werden natürlich trotzdem eine Welt ohne Kopien nicht wollen.
Gulli.com: Wie sieht das Internet eurer Meinung nach in 10 Jahren aus? Was wird dann noch für die User frei sein? Gibt es dann noch Organisationen, wie Wikipedia, die GNU-Lizenzen, freie Musik etc.? Wie sehr werden wir eurer Einschätzung nach durch die europäischen Gesetze bis dahin eingeschränkt sein? Was ist dann als Betreiber einer Website noch ohne eine Abmahnung riskieren zu müssen, möglich?
William: Eine Einschränkung des Internets ist weder für die Industrie noch für den Konsumenten wünschenswert. Wenn das Internet seine jetzige Form verliert und hochrestriktiven Gesetzen und Kontrollen zum Opfer fällt, wird auch die Innovation in diesem Sektor zu Ende sein. Damit würde die Industrie auch ihren eigenen Markt zerstören. Dennoch denke ich, dass selbst wenn es dazu kommen würde, sich weitere Subnetze entwickeln würden. Das Internet ist kein Produkt, sondern eine gesellschaftliche Denkweise.
Gulli.com: Wie hat die Kommunikation mit der GVU funktioniert? Wie bereitwillig wurden Informationen weitergegeben?
Jan: Die Kommunikation mit der GVU war durchaus produktiv. Natürlich erfährt man dort keine geheimen Interna aus der Ermittlungsarbeit. Aber der Geschäftsführer Herr Tielke, hat uns ein ausführliches Interview gegeben und dabei unter anderem die Schadenszahlen der BSA kritisiert und sogar den Wunsch äusserte, dass der Kampf gegen die Szene nie zu Ende ginge. Der Leiter der Rechtsabteilung, Herr Scharinghausen, war bei unserer Buchvorstellung in Köln zu Gast und hat dort eine sehr interessante Diskussion mit unseren Gästen geführt.
Gulli.com: Wie schwer war es Kontakt zur Warezszene zu bekommen, um das Interview mit dem Siteop, den Ihr Optic getauft habt, durchführen zu können? Gerade in Deutschland ist der überwiegende Teil der 0-day-Warez-Piraten wegen der Sicherheitsrisiken nicht gerade an Propaganda egal welcher Art interessiert.
William: Obwohl ich Kontakte zu den damaligen Groups pflege, war es extrem schwierig an diese neue Generation von Release Groups heranzutreten. Sie sind sozusagen die neue „Garde“ und haben komplett neue Strukturen aufgebaut. Ich begab mich dann schließlich zu den diversen Kanälen, in denen Aussenstehende keine Minute geduldet werden. Mein Vorteil war, dass ich die Erstgründer von heute noch bekannten Release Groups persönlich kenne. Das machte die jungen Leute neugierig und ich wurde sozusagen als „altes Fossil“ geduldet.
Gulli.com: Was dürfen wir als nächstes von Euch erwarten? Neue Kurzgeschichten aus dem Untergrund? Was sind Eure Pläne?
Jan & William: Wir haben derzeit noch nichts Konkretes geplant. Aber sobald es wieder etwas zu sagen gibt, werden wir sicherlich wieder schreiben.
Gulli.com: Vielen Dank für das ausführliche und informative Gespräch. Wir würden uns sehr über eine Neuauflage des aufschlussreichen Dartwettbewerbes von 1999 freuen!
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