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Für die Unterhaltungsindustrie ist klar: „Raubkopierer sind Verbrecher“. Sehr viel differenzierter haben William Sen und Jan Krömer das Massenphänomen Raubkopie in ihrem Buch „NO COPY“ analysiert: Im netzwelt-Interview erklären die Autoren, warum die Industrie mit der Einführung des Kopierschutzes einen Fehler gemacht hat, wieso die Szene trotz regelmäßiger Razzien auch in Zukunft bestehen wird und warum die zunehmende Reglementierung des Internets durch Gesetze sogar eine Gefahr für die Netzkultur ist.
netzwelt: Warum habt ihr ein Buch über „Die Welt der digitalen Raubkopie“ geschrieben?
Krömer: In den Medien wird derzeit fast nur über Gerichtsverfahren, Razzien oder über den Schaden berichtet, den Raubkopien angeblich anrichten. Unser Ziel war es, ein ausgewogeneres Bild zu vermitteln, das auch die Menschen und die Ideologie mit einbezieht, die hinter den Raubkopien stehen.
Sen: Wenn man sich wie wir seit Jahren mit dem Thema beschäftigt und auch Einblick in die geheime Szene der Releaser hat, stören einen einfach die vielen Fehlinformationen in den Medien. Wir wollten viele Dinge klarstellen und die Wahrheit schreiben, wie sie sich für uns darstellt.
Jan Krömer (links) und William Sen sind die Verfasser von „No Copy – Die Welt der digitalen Raubkopie“. Beide hatten schon in jungen Jahren Kontakt zur Szene.
netzwelt:Habt ihr überprüft, ob euer Buch schon illegal im Netz getauscht wird?
Sen: Ja, wir haben schon eine Schwarzkopie von „No Copy“ als eBook im Netz gefunden.
netzwelt: Und? Ärgert euch das nicht?
Sen: Natürlich ärgert uns das. Die Frage ist: Wie reagieren wir? Bevor man sofort zum Anwalt rennt und klagt, muss man sich die Frage stellen, ob das überhaupt hilft oder ob dadurch nicht noch mehr Schaden entsteht. Man kann diese Entscheidung nicht treffen, wenn man die Szene nicht kennt, die für solche Veröffentlichungen verantwortlich ist.
netzwelt: Die Unterhaltungs- und Softwareindustrie hat mit der Einführung von Kopierschutzmechanismen auf das Raubkopieren reagiert. Ihr schreibt in eurem Buch, dass mit der Entwicklung von immer neuen Kopierschutzmechanismen die illegale Verbreitung eher gefördert als verhindert wird. Warum?
Sen: Wenn sich eine neue Software-Version oder Kinofilme noch vor der Veröffentlichung im Internet verbreiten, stecken dahinter nicht Gelegenheitskopierer, wie anscheinend immer noch viele Industriebosse vermuten. Die Filesharer sind nur das Ende einer langen Kette, an deren Anfang die extrem gut organisierte Releaser-Szene steht, die vom FBI sogar als Syndikat bezeichnet wird.
„Durch neue Kopierschutzmechanismen wird mehr kopiert“
Krömer: Und für diese Szene ist jeder neue Kopierschutz eine neue Herausforderung, die es zu meistern gilt. Der Wettkampf darum, einen Kopierschutz als Erster zu knacken oder einen Film vor allen anderen Gruppen zu releasen, ist das, was die Szene antreibt. Nach der Einführung neuer Kopierschutzmechanismen wird daher nicht weniger, sondern häufig sogar mehr kopiert.
netzwelt: Warum haben die Konzerne dann überhaupt den Kopierschutz eingeführt?
Sen: Viele Jahre hatten etwa die Plattenbosse ein Monopol und die volle Kontrolle über die Verbreitung von Musik. Durch die Entwicklung des Internets, die verschlafen wurde, hat die Unterhaltungsindustrie nach und nach die Kontrolle verloren. Darauf reagierten die Bosse sehr emotional: Aus Empörung darüber, dass die mit viel Mühe hergestellten Produkte frei kopiert wurden, haben die Unternehmen Kopierschutzmechanismen entwickelt und ihre Anwälte auf die Raubkopierer angesetzt.
Krömer: Dabei hat bis jetzt kein Kopierschutz langfristig jemanden am Kopieren gehindert – egal ob in der Szene oder unter den normalen Benutzern. Inzwischen ist das Original im Vergleich zur Kopie sogar in mancher Hinsicht minderwertig – ich denke zum Beispiel an eine kopiergeschützte CD, die sich im Autoradio im Gegensatz zur Kopie nicht abspielen lässt.
Sen: Was wäre eigentlich, wenn die Industrie auf Kopierschutzmechanismen verzichten würde? Die Release-Groups würden von einem auf den anderen Tag die Motivation verlieren. Doch bis jetzt hat die Industrie diesen Schritt nicht gewagt – dabei hat sie eigentlich nichts zu verlieren.
netzwelt: Weil die Kopierschutzmaßnahmen nicht fruchten, wird die Strafverfolgung verstärkt. Immer wieder hört man, dass den Justizbehörden bei Razzien große Schläge gegen die Release-Groups gelungen sind. Haben die so genannten Busts die erwünschte Wirkung?
„Busts gibt es fast genauso lange wie die Szene“
Krömer: Busts gibt es fast genauso lange wie die Szene und trotzdem werden die neuesten Filme, Musikalben und Softwareversionen noch veröffentlicht – mit der abschreckenden Wirkung kann es also nicht allzu weit her sein. Sicher ist im ersten Moment der Schock immer sehr groß in der Szene, wenn Bekannte und Freunde gebustet und inzwischen sogar Gefängnisstrafen verhängt werden. Aber auch wenn sich einzelne Gruppen dann auflösen, wittern gleichzeitig neue Gruppen die Chance, deren Platz einzunehmen und sich einen Namen zu machen.
Sen: Ich kenne ein Szene-Mitglied, das Ende der Neunziger dreimal gebustet worden ist: Er konnte es einfach nicht sein lassen. Solche Fälle gibt es oft – viele Szene-Mitglieder glauben der Polizei dank ihrer Sicherheitsvorkehrungen überlegen zu sein.
netzwelt: Vernünftig ist das eigentlich nicht. Woher kommt die Motivation, dass solche Szene-Mitglieder trotz der Bedrohung nicht aussteigen?
„Stars der Szene werden behandelt wie Gott persönlich“
Sen: Wenn renommierte Szene-Mitglieder mit ihrem Nickname ins Netz gehen, werden sie behandelt wie Gott persönlich – sie sind Stars in der Szene, die verehrt und respektiert werden. Fast ihr ganzes Leben spielt sich in dieser Subkultur mit festgelegten Regeln und Hierarchien ab. Ein Ausstieg würde für viele Szene-Mitglieder bedeuten, einen Großteil einer Existenz aufzugeben, die sie sich über Jahre aufgebaut haben.
Krömer: Das Streben nach der Anerkennung im Netz und der Wettbewerb zwischen den Gruppen ist die Hauptmotivation. Natürlich ist die Mitgliedschaft in der Szene auch ein Hobby: Das Knacken eines Kopierschutzes ist für viele einfach eine kreative Herausforderung, die Spaß macht. Zusätzlich machen die drohenden Strafen für viele Szene-Mitglieder ihr Hobby eher spannender statt abzuschrecken.
netzwelt: Die Industrie macht die Szene für riesige Einnahmeverluste verantwortlich. Wie bewertet ihr das illegale Treiben der Release- und FXP-Groups?
Sen: Die Verantwortung der Szene ist schwer zu bewerten – die Subkultur gibt es schließlich schon seit 25 Jahren. Zum Problem für die Unterhaltungsindustrie wurde das Schwarzkopieren erst mit dem Internet-Boom Mitte der Neunzigerjahre, als auch die Gelegenheitskopierer die Dateien untereinander tauschen konnten. Dabei ist es überhaupt nicht im Sinne der Szene-Mitglieder, dass ihre Cracks und Warez den eigentlich abgeschlossenen Kreis aufgrund undichter Stellen verlassen und in Filesharing-Netzwerken auftauchen. Die Release-Groups haben es aber nicht geschafft, sich vom Rest des Netzes abzuschotten. Wir möchten die Szene nicht von Schuld frei sprechen – aus unserer Sicht ist das Problem aber eher ein gesellschaftliches Phänomen: Das Kopieren von Wissen und Informationen ist ein Teil der Netz-Kultur, der sich nicht einfach durch Kopierschutz oder Gesetze ausschalten lässt.
„Zunehmende Reglementierung verhindert Innovationen“
netzwelt: Ihr zitiert in eurem Buch unter anderem Lawrence Lessig, der in der zunehmenden Reglementierung sogar eine Gefahr für die Netzkultur sieht. Was meint der Stanford-Professor damit?
Sen: Die zunehmende Reglementierung der Netzwelt verhindert Innovationen: In der Vergangenheit war es immer so, dass alte Geschäftsmodelle durch neue und bessere ersetzt wurden. Die Gesetzgebung schützt aber im Prinzip die in Zeiten des Internet veralteten Geschäftsmodelle der Unterhaltungsindustrie. Das Netz bietet ungeahnte Möglichkeiten, doch vieles, was möglich wäre, ist verboten: So wird kreatives Potential ausgebremst.
netzwelt: Wie wird sich die Szene künftig entwickeln – was erwartet ihr?
Krömer: Wegen der Strafverfolgung zieht sich die Szene derzeit weiter in den Untergrund zurück und wird dadurch noch unangreifbarer. Die Mitglieder schützen sich besser – sie verschlüsseln ihre Chats und benutzen nur noch ganz sichere Verbindungen.
Sen: Die Szene passt sich an – je mehr sich die Industrie wehrt, desto besser werden die Schutzmaßnahmen der Szene. Die Strafverfolgung kann nicht mehr erreichen, als Sand in das Getriebe einer Maschine zu streuen, die stabil läuft. Und selbst das wird schwierig, wenn die Szene durch verbesserte Sicherheitsmaßnahmen gleichsam den Vorhang zuzieht.
netzwelt: Die Industrie hat für die DVD-Nachfolger Blu-Ray-Disc und HD-DVD angeblich unknackbare Kopierschutzmechanismen entwickelt: Wie lange wird es dauern, bis die Szene diese Sicherheitsmaßnahmen umgeht?
Krömer: Die Frage ist weniger, wie lange es dauert, sondern wer künftig ein kopiergeschütztes Original eigentlich noch benutzen will. Je ausgefeilter die Mechanismen werden, desto unkomfortabler sind die Medien in der Regel für die Anwender. Schon der simple Kopierschutz für Audio-CDs sorgt für Probleme, weil zum Beispiel ältere Player ein Original nicht abspielen können.
„Unknackbarer Kopierschutz ist unmöglich“
Sen: Ein Hacker würde sich weigern, eine unknackbaren Kopierschutz zu entwickeln, weil es schlichtweg unmöglich ist. Die Unternehmen geben Unsummen für die Entwicklung von Kopierschutzmechanismen aus. Stattdessen könnten sie zum Beispiel die Preise der Medien senken: Die Kunden bezahlen, wenn sie sich eine DVD kaufen, auch für neue Kopierschutzmechanismen, die die Verbraucher gar nicht wollen. Außerdem sollten die Filmstudios und Plattenfirmen aufhören, potentielle Käufer zu verklagen und stattdessen die Nachfrage ankurbeln, indem sie es zum Beispiel attraktiver machen CDs zu kaufen oder bessere Online-Plattformen für Film-Downloads entwickeln.
netzwelt: Könnt ihr euch vorstellen, dass ein Plattenboss euer Buch in die Hand nimmt?
Sen: Unser Buch ist nicht für die Industrie geschrieben – wir sind keine Unternehmensberater. Natürlich erhoffen wir uns aber schon, dass ein Industrieboss das Buch mal anschaut und sich denkt: „Sieh mal einer – wenn das stimmt, was die Jungs schreiben, ist das, was wir machen, falsch.“
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