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Das Internet eröffnete einzigartige Möglichkeiten, die es in dieser Form noch nie gegeben hatte. Es erlaubte den Menschen, sich mit anderen zu vernetzen. Dadurch macht es den Austausch von Informationen und Wissen möglich, ohne räumlich beschränkt zu sein. Über viele Jahre hinweg entstand so eine internationale Netzgemeinde, die ihre Erkenntnisse, Neuigkeiten und auch Kunstwerke nicht mehr in Schubladen hortete. Und je mehr Anwender das weltweite Netz nutzen, desto mehr wird daraus ein Kulturgut der Gesellschaft.
Zu den intensivsten Beobachtern des Internets gehört der Programmierer Ward Cunningham. Er kam durch die Entwicklung der Netzkultur auf eine weitere, revolutionäre Idee: Wenn es nur genug Nutzer gäbe, die an einer Aufgabe mitwirken, bräuchte es seiner Meinung nach keine Kontrollinstanz mehr. Die gemeinsame Arbeit aller könnte am Ende ein Werk schaffen, das inhaltlich effizient wäre. 1995 entwarf er daher eine Website namens Wiki. Er programmierte sie so, dass jeder Besucher ohne Zugangsbeschränkungen beliebige Artikel erstellen, ändern oder löschen konnte. 2001 entwickelte der Unternehmer Jimmy Wales gemeinsam mit dem Philosophen Larry Sanger eine Internetenzyklopädie namens Wikipedia nach dem Wiki-Konzept von Cunningham.
Das Prinzip von Wikipedia ist ebenso simpel wie genial. Zwar kann jeder Benutzer Artikel beliebig und ohne Autorisation ändern. Jede Änderung wird jedoch in einer Art Historie festgehalten. Wenn ein weiterer Nutzer der Arbeit des anderen nicht zustimmt, kann er die alte Version wiederherstellen oder sie nach eigenem Ermessen verbessern. Die Hemmschwelle, Artikel einzustellen, ist äußerst gering, da Wikipedia eine anonyme Teilnahme ohne Registrierung erlaubt.
Die ersten Kritiker prognostizierten einem Konzept wie diesem eine anarchistische Zukunft. Als beispielsweise die L. A. Times in ihr Online-Portal ein Konzept nach dem Muster von Wikipedia integrierte, endete das im Chaos. Die Inhalte wurden von diversen anonymen Nutzern mit obszönen und politisch umstrittenen Artikeln versehen. Nach nur zwei Tagen musste die Software vom verantwortlichen Redakteur Michael Newman entfernt werden, der das Ganze ohnehin nur als ein Experiment betrachtet hatte.
Aus Wikipedia entwickelte sich im Gegensatz dazu die größte Enzyklopädie der Welt. Waren es 2001 noch knapp 5.000 englische Artikel, hat Wikipedia mittlerweile die Millionengrenze erreicht und bietet zudem Inhalte in mehr als 100 Sprachen an. Damit enthält Wikipedia mehr Einträge als jedes gewöhnliche Wörterbuch. Selbst große Tageszeitungen wie Daily Telegraph Online, The Guardian, Sydney Morning Herald und andere zitieren mittlerweile aus Wikipedia. Entgegen der Meinung vieler Kritiker ist die Qualität der Inhalte bewundernswert. „Es handelt sich großteils um solides Weltwissen“, befand 2004 auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel.
Mehr als 100.000 registrierte Benutzer sowie unzählige anonyme Mitgestalter und Administratoren pflegen freiwillig die Enzyklopädie und sorgen für qualitativ hochwertige Inhalte. Die Netzgemeinde wächst unaufhaltsam, und täglich kommen etwa 500 neue Artikel hinzu. Offensichtlicher Unfug oder fehlerhafte Texte werden von der Wikipedia-Gemeinde schnell korrigiert oder entfernt. Geht es um strittige Themen, entbrennt oft ein Streit über bestimmte Artikel. Meinung und Gegenmeinung stoßen aufeinander, und es wird hin und her formuliert, bis am Ende das Faktenwissen siegt.
Dadurch, dass die Texte online sind, ist Wikipedia zudem äußerst aktuell, wie es auch schon sein Name verspricht. Das Wort „wiki“ kommt aus dem Hawaiischen und bedeutet „schnell“. Studenten und Wissenschaftler nutzen Wikipedia für ihre Arbeiten, so dass man auch in wissenschaftlichen Texten immer mehr Zitate aus der freien Enzyklopädie wiederfindet. Schließlich können die Texte und Bilder von Wikipedia ohne Lizenzrechte von jedem genutzt werden. Unterdessen ist Wikipedia auch zu einer ernsthaften Konkurrenz für die bisher am Markt bekannten Enzyklopädien wie Brockhaus oder Microsoft Encarta geworden. Gemessen an der Menge verfügbarer Artikel, können die kommerziellen Anbieter nicht mehr mithalten. Verglichen mit knapp einer Million Einträge der englischsprachigen Wikipedia, erscheint selbst die Encyclopaedia Britannica mit etwa 65.000 Artikeln bescheiden. Sogar die Qualität der Inhalte beider Enzyklopädien ist nach einer Studie des führenden Wissenschaftsjournals Nature gleichzusetzen.
Der Erfolg von Wikipedia führte zu einer interessanten Debatte: „Wie kann das sein, was nicht sein darf?“ fragte zum Beispiel Prof. Dr. Matthias Fank vom Institut für Informationswissenschaft der Fachhochschule Köln: „Wikipedia zeigt uns, dass Wissen und Macht nicht synonym sind und wir Menschen durchaus bereit sind, Wissen zu teilen“.
Auch das Verzeichnis der bekannten Suchmaschine Google greift auf ein Produkt zurück, das sich selbst reguliert. Das Linkverzeichnis Open Directory Project (ODP) wird täglich von freiwilligen Helfern erweitert. An dem Verzeichnis arbeiten weltweit mehr als 69.000 Editoren, die mittlerweile mehr als fünf Millionen Websites einzeln kategorisiert und kommentiert haben. Somit gehört ODP zu den größten von Menschenhand gepflegten „Suchmaschinen“ im Internet.
Aus einer Idee werden im Internet weitere geboren. Kurz nach dem Aufstieg von Wikipedia wurde ein weiteres System populär, das ebenfalls auf Selbstregulierung basiert: Obwohl sie bereits seit langem in kleinen Communitys genutzt wurden, erfreuen sich seit einiger Zeit Weblogs (oder einfach nur Blogs) wachsender Beliebtheit. Blogs sind im Grunde kleine Kolumnen, in die Benutzer (Blogger) hineinschreiben dürfen. Man kann sich einen Blog wie ein digitales Notizbuch vorstellen. Die Inhalte drehen sich oft um wissenschaftliche, religiöse oder politische Themen, die Beiträge sind von den persönlichen Meinungen einzelner geprägt. Daher werden Blogs oft als Pamphlete des digitalen Zeitalters bezeichnet.
In den letzten Jahren hat sich eine regelrechte Blogkultur gebildet. Inhalte von Blogs verweisen oft mit einem Link auf weitere Blogs. Durch die vielen Querverweise entsteht eine Verkettung, die insgesamt als Blogosphäre bezeichnet wird. Verfolgt man alle Links, kehrt man theoretisch irgendwann wieder zu dem Blog zurück, bei dem man ursprünglich zu lesen begonnen hat. Dieses zirkuläre Muster der Verlinkung erinnert an das Prinzip des Internets selbst.
Der Grundgedanke des Teilens und das digitale Miteinander haben Ideen wie Linux, Open Source und Wikipedia erst möglich gemacht. Fast alle daraus resultierenden Produkte stehen in direkter Konkurrenz zu proprietärer und kommerzieller Software. Der bedeutendste Unterschied bei den freien Produkten ist, dass sie von einer Schar von Fans begleitet werden. Und die Gemeinde der Anhänger im Internet ist dermaßen groß, dass Ergebnisse viel schneller, effizienter und qualitativ besser erzielt werden können als bei der Arbeit eines kleinen Teams in einem Konzern.
Die Ideen von Selbstregulierung und Dezentralismus gehören zu den fundamentalsten Merkmalen der Internetkultur. Sie zu fördern und zu erhalten ist das oberste Anliegen ihrer Anhänger.
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