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Ende der 90er Jahre traf die Musikbranche auf eine neuen technischen Herausforderung. Die Kombination aus dem digitalen Musikformat MP3 und dem Internet sorgte für ein ganz neues Verständnis von Musik. War diese bisher zwingend an einen Tonträger wie eine Schallplatte oder eine CD gebunden, löste sie sich nun von einem physischen Medium. Schnell begannen die Nutzer, die Vorteile der neuen Technik zu entdecken.
Nur für diejenigen, die mit dem Kauf von Tonträgern aufgewachsen waren, stellte Musik noch ein physisches Produkt dar. Das Vergleichen von Schallplatten oder CDs im Geschäft, das Auspacken des Albums und das Betrachten des Covers waren für sie elementarer Bestandteil des Musikerlebnisses. Für die jüngere Generation galt das nicht mehr zwangsläufig. Eine Musiksammlung auf der heimischen Festplatte bot in ihren Augen viele Vorteile gegenüber einem gut gefüllten CD-Regal. Auf dem Computer ließen sich die verschiedensten Lieder hintereinander abspielen, ohne ständig den CD-Player mit einer neuen Scheibe füttern zu müssen. Herumliegende CD-Hüllen und zerkratzte Silberscheiben gehörten für sie der Vergangenheit an.
Das Internet beeinflußte auch das Kaufverhalten der CD-Konsumenten. Mehr und mehr Internetnutzer und Musikfans entschieden sich erst nach dem Download für oder gegen den Kauf einer CD. Außerdem machte MP3 das Musikhören mobiler als jemals zuvor. Zwar boten auch schon Walkman oder tragbarer CD-Player die Möglichkeit, unterwegs Musik zu hören. Die neue Technik ging jedoch noch einen Schritt weiter. Mobile MP3-Player waren nicht nur kleiner als die früheren Geräte, auch das Mitnehmen von Tonträgern entfiel. Überdies boten sie Platz für viel mehr Songs, als auf eine CD passten.
Das Medium Musik verwandelte sich von einer Sammlung von CDs zu einer vernetzten Welt von Bits und Bytes. Ein ganzes Geschäftsmodell wurde hierdurch in Frage gestellt. Konnte man überhaupt weiterhin Musik auf CDs pressen und an die Hörer verkaufen, wo sich deren Wünsche und Bedürfnisse doch offensichtlich geändert hatten?
Um mit Musiktauschbörsen wie Napster konkurrieren zu können, hätten neue Verkaufsstrategien entworfen werden müssen. Das Marktforschungsunternehmen Forrester Research erkannte dieses Problem bereits 2000 in einem Bericht über die Auswirkungen des Internets auf die Musikindustrie. Forrester-Analyst Eric Scheirer kommentierte damals die Studie: „Der Drang, Musik zu sammeln und flexibel zu organisieren, eigene Playlists und CDs zu erstellen und die eigenen Lieblingssongs Tausende Male abzuspielen, macht einen großen Teil der Anziehungskraft von Napster aus.“ Scheirer hielt es für unumgänglich, dass die Plattenfirmen die Wünsche der Kunden akzeptieren: „Die Konsumenten haben gesprochen – sie verlangen den Zugang zu Inhalten mit allen dazu notwendigen Mitteln.“ Die Musikverlage hielten sich laut Scheirer derweil selber für Fabrikationsbetriebe. Das sei aber nicht die Art, wie die Kunden über Musik dächten: „Sie wollen auf Musik wie auf eine Dienstleistung zugreifen können.“
Die Musikwirtschaft war anderer Meinung. Anstatt die neue Technik zu akzeptieren, klebte sie an der alten. Sie fürchtete um ihre Verkäufe. Doch statt neue Konzepte zu entwickeln, versuchte sie verzweifelt den Status quo zu halten. Die CD hatte der Musikwirtschaft viele Jahre Rekordumsätze beschert. Nun traute sich die Industrie nicht, dem so erfolgreichen Medium den Rücken zu kehren. Für sie stand fest, dass Musik nur als CD im Laden gekauft werden dürfe.
Dies widersprach zutiefst dem Wesen des neuen Mediums Internet, das sehr stark die Individualität der Konsumenten betonte. Diese wollten Musik kaufen und hören, ohne örtlich gebunden zu sein. Die Musikindustrie wollte aber ein derartiges Mitbestimmungsrecht der Kunden nicht akzeptieren, sondern vielmehr die Bedingungen für die Nutzung von Musik diktieren.
Die Musikbranche versuchte, sich der Internetrevolution zu verweigern und wurde gerade deswegen von ihr überrollt. Die Umsätze brachen ein, die CD als Medium für Musik wurde immer unbedeutender. Zudem war auch die Umstellung der Haushalte von Vinyl auf CD beendet. Die Musikindustrie konnte nicht länger von jenen „Doppelkäufen“ profitieren, die ihre Gewinne in den vorhergehenden fünfzehn Jahren in beispiellose Höhen getrieben hatten.
Rückblickend erkennen inzwischen auch die Plattenfirmen ihre damaligen Fehler an. Der Europachef von SonyBMG, Maarten Steinkamp, räumte in einer Fernsehdokumentation ein Managementproblem ein: „Wir haben die Veränderungen auf dem Markt viel zu spät erkannt, und als wir endlich reagiert haben, wollten wir unseren Besitzstand verteidigen, anstatt nach neuen Lösungen zu suchen.“
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