Jan von Holleben fotografiert Kinderträume
Text: Alina Vaisfeld
Raue Piraten, mit Parierdolch und Augenklappe, starke Kerle, die sich Felsbrocken durch die Luft zuwerfen, als wären es Wattebausche, Tiefseetaucher, die lang versunkene Schätze heben: das ist Jan von Hollebens „Traum vom Fliegen“. Eine schwerelose Fotostrecke, die vom Kindertraum vom Fliegen erzählt. Denn seine starken Männer sind keine Männer, Tarzan ist es nicht, nicht der Taucher, nicht der Springer, nicht der Fotograf. Sie sind Milchbuben und -mädchen, sind Nachbarskinder. Von Holleben, der das Spielende in der Kunst vermisst, spielt uns etwas vor aus seinen Träumen, die er den Kindern als Regieanweisungen gibt. Und weil eine komplizierte Hebekrankonstruktion den Träumen das Spielerische genommen hätte, liegen die Kinder auf dem Boden, und es ist der Fotograf, der schwebt. So entstehen Momentaufnahmen, die im Grunde Stillleben sind, räumliche Fotografien, die tatsächlich zweidimensional sind.
Der Traum vom Fliegen wird zum Sesam-Öffne-Dich einer Kinderwelt. Die gewollte Schlichte der Arrangements, die gewollte Einfachheit der Requisiten ist bezaubernd. Wie niedlich! Und erfüllt präzise die Vorstellungen, die Erwachsene von Kindheit haben. Von einer heilen Welt, einem Idyll, entstanden ohne Einfluss von außen. Kein technischer Firlefanz, kein Hightech, keine maschinenbetriebenen Raffinessen. Wie süß! Und wie naiv – von unserer Seite. Denn es ist eine Idee, die retrospektiv, aus der Erwachsenenperspektive und aus gelebten und ungelebten Erfahrungen geformt wurde.
Das gilt auch für die die Idee einer reinen Kinderwelt, zu der Erwachsene keinen Zutritt haben. das sieht man auf den Bildern. Da fehlen die Erwachsenen fast vollständig. Nicht, weil sie dem Traum vom Fliegen entwachsen sind, sondern weil Kinder Erwachsene spielen. Weil sie zu ihren eigenen Astronauten und Kung-Fu Kämpfern, Apfeldieben und Kohlgärtnern werden, bleibt auf den Fotografien nur die Rolle des Ungeheuers für die Großen. Allerdings: wenn Kinder Erwachsene spielen, wenn Kinderhelden die Medienwelt kopieren, dann stehen dahinter eben die Erwachsenen, die Medienidole, die als Vorlage dienen. Sie stehen außerhalb, am Bildrand, den die Kamera schon nicht mehr erfasst. Die Fußballprofis, die Kosmonauten und Weltumsegler, Superman und Ghostbusters. Und das Copyright? Verletzen Kinder, die Helden kopieren, Urheberrechte? Kaum: auch wenn wir den Erfinder einer Comic-Figur bestimmen können. Zum Beispiel von Batman. Aber kann wer könnte die ursprüngliche Form eines Kinderspiels, das auf diesen fliegenden Helden zurückgreift, für sich beanspruchen?
Zurück zur Fotostrecke: die vordergründige Naivität, die bewusste Schlichtheit der Bilder- das ist vielleicht zu plakativ, um noch naiv zu sein. So genau erfüllen die Fotografien unsere Vorstellungen von der Kinderwelt, vom kindlichen Traum vom Fliegen, dass sie eben jene Wunschvorstellungen frei- und bloßlegen. Dass sie nostalgische Ideen von Kindheit reflektieren, die mit Kindsein an sich nur wenig Ähnlichkeit haben.
Auf welcher Seite der Fotograf steht? Schwer zu sagen. Er führt die Vorstellungen Erwachsener vor, und ist zugleich selbst einer. Er lässt Kinder agieren, aber inszeniert sie auch. Diese Zwitterrolle ist vielleicht ein Manko. Wessen Version von Kindheit wir tatsächlich sehen, wird nicht deutlich. Die von Hollebens? Die anderer Erwachsener? Die der Medien? Die der Kinder? Aber vielleicht darf es auch nicht deutlich werden. Denn das wunderbar Traurige dieser Fotoserie ist nicht, dass sie zeigt, was Kindheit ist. Sondern was Kindheit nicht ist.
Über NO COPY |
Kapitelinhalt |
Autoren |
Rezensionen |
Archiv