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von Jakob Kufert, Andreas Schönau, Kay Thunig
Bezogen auf unsere Hauptthese – "Raubkopieren – Ein gesellschaftlich akzeptiertes Verbrechen" – haben wir drei Befragungen mit ausgewählten Vertretern der Raubkopiererszene und nahestehenden Gruppierungen geführt. Trotz des hindernisreichen Weges gelang es uns, Kontakte in die Untergrundbewegung zu knüpfen und in deren spannende Systematik einzutauchen. Durch die Möglichkeiten unseres Fachbetreuers Dipl. Inf.-Wirt (FH) Jan Krömer wurde uns der Zugang zur Szene erleichtert. Um die Anonymität der Gesprächspartner zu wahren, verwendeten wir vielschichtige technische Verfahren. So führten wir das erste Interview innerhalb eines passwortgeschützten Internet-Relay-Chat-Channels durch und rüsteten unseren Interviewpartner mit einem Proxyserver aus, um Beobachtung und das Hinterlassen von Spuren auszuschließen. Derartige Sicherheitsmaßnahmen waren jedoch nur beim ersten Interview nötig, da es sich bei den anderen beiden Befragten um inaktive beziehungsweise strafrechtlich ungefährdete Szenemitglieder handelt. Die letzteren Gespräche wurden über handelsübliche E-Mail-Clienten durchgeführt.
Im Zuge des ersten Interviews befragten wir einen aktiven Administrator eines deutschsprachigen FXP-Forums mit über 26.000 Mitgliedern über seine allgemeinen Positionen in Bezug auf den gemeinen Raubkopierer, seine Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen sowie das Leben innerhalb der Szene.
Die Grundaussage seiner Antworten bezüglich unserer These ließen einen Wahrheitsgehalt dieser erkennen. Er selbst verspürt kein Unrechtsbewusstsein hinsichtlich seiner illegalen Handlungen und lässt durch die Aussage "[Ich] finde man kann sich mit allem verrückt machen, je länger man über etwas nachdenkt." erkennen, dass er der Reaktion auf Raubkopien desinteressiert gegenübersteht. Somit wird eine Desensibilisierung auf Raubkopien deutlich. Illegal kopiertes Material wird zum Alltagsgut.
Des weiteren schätzt er strafrechtliche Maßnahmen gegenüber Raubkopierern als überzogen ein, denn seiner Meinung nach sollten kleine Filesharer "[…] von den lieben Anwälten in Ruhe gelassen werden." Selbst durch eine gerichtliche Abmahnung ließ sich der Interviewpartner nicht von seinen Tätigkeiten abbringen, sie verschärfte lediglich die Vorsichtsmaßnahmen bezüglich seiner Aktivitäten.
Jegliche ins Leben gerufene Projekte zur Senkung der Raubkopiererquote werden von ihm als unwirksam beurteilt. Er befürchtet, dass die Ausgaben der Kampagnen den Preis der urheberrechtlich geschützten Produkte zusätzlich in die Höhe treibt. Stattdessen schlägt er die Umschichtung der finanziellen Mittel auf den endgültigen Produktpreis vor. Die Ursache der Raubkopiererbewegung ist aus seiner Sicht nicht im Protest anzusehen, sondern gilt durch das breite Spektrum an Tätern als Massenphänomen. Auffällig ist jedoch eine Dominanz des jüngeren Teils der Bevölkerung, welche in den Communities vorliegt. Unser Gesprächspartner, der selber Kopf einer solchen Gemeinschaft ist, führt dieses Kuriosum größtenteils auf die finanziellen Engpässe von Jugendlichen zurück. "Die nehmen fast grundsätzlich alles, was es irgendwo, irgendwie gratis gibt, wofür man sonst viel bezahlen müsste." So scheint offensichtlich, dass Raubkopieren als Konsequenz fehlender Liquidität allgemein toleriert wird. Im Gesamtbild bestätigen seine Ausführungen die Zielsetzung unserer Konzeption, welche die Darstellung des Raubkopierens als gesellschaftlich akzeptiertes Verbrechen untermauern soll.
Das zweite Interview wurde mit William Sen geführt. Er ist Co-Autor des Buches "NO COPY – Die Welt der digitalen Raubkopie", welches er zusammen mit unserem Fachbetreuer Dipl. Inf.-Wirt (FH) Jan Krömer verfasste. In der Vergangenheit war er Mitglied der Hackerszene. William Sen kreierte eigenständig zwei weitere Bücher über seine ehemalige Tätigkeit. Derzeit arbeitet er als Software-Entwickler und Journalist. Wir befragten ihn über seine Tätigkeit als Hacker, die Verbindung zwischen Hacker- und Raubkopiererszene und seine Arbeit am Werk "NO COPY".
Im Allgemeinen lassen sich seiner Aussage nach Beobachtungen in der Hackerszene oftmals auf die Raubkopiererszene projizieren, denn die Raubkopierer-Ethik ist wie die "[…] Hacker-Ethik tief verwurzelt in der Technologie des Internets[…]." So ist beispielsweise die Angst vor juristischen Konsequenzen äußerst gering, da die Ideologie der Protesthaltung gegenüber der Furcht dominiert. Besonders auffällig ist dabei die Einschätzung der konservativen Gesetzeslage. Seiner Meinung nach sind heute wie damals die "[…] Gesetze den technologischen Errungenschaften weit hinterher […]".
Da die Erläuterung der Verbindung zwischen der Hacker- und Raubkopiererszene eine eigene Facharbeit benötigen würde, lassen sich die Zusammenhänge nur schematisch darstellen. "[…] Schon geschichtlich gesehen teilen Hacker und „Raubkopierer“ die Weigerung, technische Beschränkungen zu akzeptieren und das Bemühen, Grenzen zu überwinden." Durch diese Aussage wird der gleiche Ursprung und die damit verbundene Symbiose zwischen beiden "Kulturen" deutlich. Weiterhin sehen sowohl aktive Vertreter der Raubkopiererszene (siehe Interview 1), als auch Hacker in den Open-Source-Bewegungen die einzige effektive Gegenmaßnahme, um dem Umgang mit Raubkopien die Basis zu entziehen. "Schon die ersten Hacker waren der Meinung, dass Informationen frei sein müssen, um technischen Fortschritt zu gewährleisten." – Auch Raubkopierer verfolgen diese Ideologie, jedoch sind sie lediglich Konsumenten dieses Fortschritts, während Hacker dessen "Nährboden" sind.
Bei Betrachtung der Reaktion der Industrie "[…] fallen einem viele Fehler auf, die man dann für notwendig erachtet, zu thematisieren." Die durch die Wirtschaft ergriffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Schwarzkopien sind nach William Sens Ansicht verheerend ineffizient. Weiterhin fordert er: "Die Unterhaltungsindustrie muss sich auch der Kritik stellen, um ihr Verhalten angemessener gestalten zu können." Seiner Ansicht nach werden also Konsumenten durch die Fehleinschätzungen der Wirtschaft regelrecht zur Straftat gedrängt, was die Grundaussage unserer Hauptthese bestätigt, da ein wirtschaftlich erzwungener Gesetzeskonflikt eine gesellschaftliche Akzeptanz impliziert. (siehe Pkt. 4.2 & 4.3)
Auch unser dritter Gesprächspartner Lars "Ghandy" Sobiraj – Newsposter der Szeneseite gulli.com, in der Demoszene tätig und freier Journalist – bestätigte ergänzend die bereits erläuterten Ansichten.
Als Alternative zum Raubkopieren sieht Lars Sobiraj die Unterstützung der Demoszene. "Früher waren die Programmierer der Spieleindustrie denen aus der Demoszene hinterher. Heute dominieren riesige Teams bestehend aus einer Vielzahl von Leuten, die
gemeinsam an einem Spiel arbeiten." Somit wird das eigentlich Potenzial dieser Gegenbewegung nur unzureichend ausgeschöpft. Durch ihre nach wie vor unkommerzielle Tätigkeit hätte die Demoszene bei ausreichender gesellschaftlicher Unterstützung einen ernst zu nehmenden Gegenpol zu kommerziellen Spielentwicklern bilden können. Durch diese Aussage lässt sich durchaus feststellen, dass der selbe Grundgedanke im Vergleich zu den anderen beiden Interviewpartnern erkennbar ist. Große Software- und Spielentwickler tragen durch ihre Vorgehensweise eine Mitschuld an der ständig wachsenden Raubkopiererbewegung. Aufgrund der Tatsache, dass die profitfixierten Konzerne technische Erkenntnisse nicht kostenfrei zur Verfügung stellen,
würde die Demoszene am Wachstum und den damit verbundenen Erfolg gehindert werde. Durch die Monopolstellung wird Konsumenten die Alternative geraubt, auf verschiedene Anbieter zurück zu greifen, wodurch Raubkopierern die Motive und Argumente geliefert werden, diese Straftaten zu begehen.
Prinzipiell distanziert sich die Demo- von der Raubkopiererszene. "Cracken ist einfach an sich destruktiv und heute auch nicht ungefährlich. Demos erstellen ist konstruktiv, beides verträgt sich nicht sonderlich gut miteinander." Diese Aussage verdeutlicht die grundsätzlich verschiedenen Zielstellungen beider Gruppierungen. Während Raubkopierer daran arbeiten, die geforderten Informationen wirtschaftlicherseits frei zur Verfügung zu stellen, beschäftigen sich Anhänger der Demoszene damit, durch ihre Arbeit in der ursprünglichen Theorie, eine weitere Option gegenüber der gewerblichen Produkte zu eröffnen.
Abschließend ist zu sagen, dass sich unsere Hauptthese im Allgemeinen bestätigt hat. Trotz der verschiedenen Klientelangehörigkeit unser mit Bedacht ausgewählten Repräsentanten der Untergrundszene, stellten wir einen Zusammenhang der Argumentationslinien fest. Unsere Absichten der Darstellung des gesellschaftlichen Umgangs mit Raubkopien sind durch die Auswertung der Interviews erfüllt worden.
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