von T. C. Boehme
Am Anfang steht ein alter Computer. Eine unförmige Kiste mit integriertem Winzbildschirm als Zeuge einer Epoche, in der das Internet noch kein Bestandteil der Alltagskultur und ein Rechner beim besten Willen nicht mit einem Vorgang wie Downloaden in Verbindung zu bringen war. Doch gleich darauf findet sich das Publikum im Ballhaus Ost mit Rahel Savoldelli in einer sehr gegenwärtigen Welt voller ungeklärter Fragen zu Urheberrecht, Kopierschutz und der angemessenen Vergütung kulturwirtschaftlicher Erzeugnisse.
„Copy Me„, das am Mittwoch Premiere hatte, ist ein spielerischer Kommentar zur großen Angst vor der Erosion künstlerischer Urheberschaft und ihren finanziellen Konsequenzen. Passend dazu hat das Stück eine Vorlage, auf die es freizügig zurückgreift: Gleich zu Beginn ist auf dem alten Computerbildschirm die berühmte Szene aus Stanley Kubricks „The Shining“ zu sehen, in der ein Junge mit dem Kettcar durch verlassene Hotelflure rast. Wenig später erscheint auf einer anderen Leinwand eine weitere Projektion derselben Szene, von Savoldelli sekundengenau nachgestellt. Kubricks Drama über den von Jack Nicholson verkörperten Schriftsteller Jack Torrance, der im Winter mit seiner Familie in ein verlassenen Berghotel zieht, um ein Buch zu schreiben, stattdessen aber zum wahnsinnigen Mörder wird, ist nicht nur Ausgangspunkt für Savoldellis Stück über das Kopieren, sondern auch Anlass für eine Reflexion über die Bedingungen künstlerischer Produktion: Torrance sucht zum Schreiben die Abgeschiedenheit, doch statt kreativ zu sein, wird er zunehmend destruktiv. Das Einzige, was er zu Papier bringt, ist die tausendfache Kopie des Satzes „All work and no play makes Jack a dull boy“.
In der Rahmenhandlung versucht die Künstlerin mit zwei projizierten anderen Ichs ein Stück zu produzieren, das als DVD gratis ans Publikum verteilt werden soll. Hier widersprechen ihre Leinwandcharaktere aufs Energischste. Die Frau vom Bildschirm des alten Computers steigt, als ihre Forderung nach einem Mindestpreis nicht erhört wird, erst einmal aus dem Projekt aus. Auch das gemeinsame Musikstück sorgt für Kontroversen, denn seine Melodie stammt aus John Lennons „Give Peace a Chance“ und ist damit Gema-pflichtig. Schließlich einigt man sich auf eine abgespeckte Version, in der bloß ein Tambourin-Beat bleibt. Was erst einmal nach mäßig originellen Ideen klingen mag, wird durch Savoldellis virtuoses Timing mehr als wettgemacht. Im ständigen Dreiergespräch mit sich selbst entwickelt sie aus den albernsten Einfällen eine nonchalante Komik, die von einer gehörigen Witz oder „wit“ zeugt – ihr Text ist in schlichtem Englisch gehalten. Auch sind die drei Rollen so geschickt verteilt, dass man fast glaubt, tatsächlich drei verschiedenen Personen zuzusehen. Savoldellis Kopien ihrer selbst führen aber nicht nur vor, wie man Copyrightprobleme mit dem eigenen Abbild bekommen kann, sondern sind auch als Kommentar zur Lage der Theaterszene gemeint. Statt Abschottung möchte sie zu einem offenen Umgang in der Arbeit anregen, um einander im Austausch zu inspirieren, ohne der Angst vor gegenseitigem Ideenklau zum Opfer zu fallen. Ob die Selbstbehauptung eines künstlerischen Ichs gleich dazu führen muss, dass man wie Jack Torrance mit dem Beil auf die anderen losgeht, sei dahingestellt. Auch die Frage, wie man ohne Urheberrecht Geld verdienen soll, kann Savoldelli nicht beantworten. Aber sie glaubt an „neue Lösungen“. Und an Humor.
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