Original – Kopie – AdaptionDie TV-Serie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeitvon Michael Scheyer
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Was der technologische und gesellschaftliche Wandel mit sich brachte, ist ein noch junges Phänomen: Die neue Sichtbarkeit und Verfügbarkeit von TV-Serien, die soziale globale Gleichschaltung und die verbesserten Rezeptionsfähigkeiten führen dazu, dass eine neue Vergleichbarkeit von Medienprodukten entstand.
Der Vergleich der originalsprachigen Fassung mit der Synchronfassung einer TV-Serie wird deshalb zunehmend für den Zuschauer von Bedeutung werden und als qualitatives Merkmal wahrgenommen werden. Mit der DVD hielt die multilinguistische Rezeptionsmöglichkeit Einzug in das Heimkino, über Internethandelsplattformen wie iTunes und Amazon.com wird es immer einfacher, originalsprachige Fassungen (auch mobil auf Multimediaabspielgeräten) zu rezipieren und auch vorzuführen, und über Downloadnetzwerke sind die Konsumenten dazu in der Lage, sich "kostenfrei" zu orientieren und jedes Produkt zu "testen" – außer Acht gelassen, ob sie das Produkt später legal erwerben oder nicht. Darüber hinaus führt die Dezentralisierung des Informationsflusses dazu, dass sich die Konsumenten über die für sie ansprechenden Angebote weltweit gleichzeitig und ungefiltert informieren können, was wiederum dazu führt, dass das Interesse an Medienprodukten durch die neuartige Sichtbarkeit derer steigt.
Das Internet ermöglichte also eine besonders große Sichtbarkeit und eine besonders große Verfügbarkeit von originalsprachigen Fassungen von TV-Serien, die mehr denn je in unmittelbarer Konkurrenz zu den synchronisierten Fassungen stehen, was zu guter Letzt eine Vergleichbarkeit dieser Fassungen erzeugte, die es in dieser Dimension vorher nicht gab.
Es ist natürlich nicht überraschend, dass sich diese Vergleichbarkeit wieder einmal besonders gut im Internet beobachten lässt, wo sich jeder teilnehmende User als Experte fühlen kann. Datenbanken, Foren, Fanseiten, etc., widmen sich einzelnen USamerikanischen TV-Serien und deren Übersetzungen. uloc.de widmet sich zum Beispiel den Simpsons und weist in der Rubrik B.A.R.T.Seine beachtliche Anzahl von sprachlich vergleichenden Untersuchungen einzelner Simpsons-Episoden auf. Ähnlich uloc.de ist scrubs-facts.de; ein Wikipedia-Derivat, das sich nur der Serie Scrubs widmet. Auch hier sind verschiedene Hinweise zu Übersetzungsfehlern in vergleichender Form zu finden.
Problematisch ist natürlich der Begriff Übersetzungsfehler. Denn eine Synchronisation ist immer mit Veränderungen des originalsprachigen Wortlauts verbunden, was bei vielen Rezipienten irrtümlicher Weise als Fehler wahrgenommen wird, was oft auf mangelhafte Sprachkenntnisse zurückgeführt werden kann. Wurden linguistische Vergleiche bisher prinzipiell von Sprach- und Übersetzungswissenschaftlern durchgeführt, ist aufgrund der heutigen Vergleichbarkeit von Sprachfassungen theoretisch jeder Rezipient dazu in der Lage, Vergleiche anzustellen. Und nicht nur theoretisch, auch praktisch fühlt sich jeder TV-Serienliebhaber dazu berufen, diese Vergleiche anzustellen. Doch was dem "Amateurkomparatisten" dabei auffällt, ist oft nicht mehr als die Veränderung an sich. Aus mangelnden Sprach- und Kulturkenntnissen heraus sind die Rezipienten selten dazu imstande, die Veränderungen qualitativ zu beurteilen.
So wird bei scrubs-facts.de unter Episode 5X09 darauf hingewiesen, dass die Aussage der Figur J.D.: „Because what’s waiting for me in my room is known in football-terms as a slam-dunk“ übersetzt wurde mit: „Denn was da in meinem Zimmer auf mich wartet nennt man beim Basketball einen Elfmeter“. Der Kommentar zu dieser Übersetzung lautet: "Die Sportarten und Begriffe wurde[n] aus unerfindlichen Gründen getauscht. Außerdem ist es ein Freiwurf beim Basketball oder ein Elfmeter beim Fußball." Nicht nur die Rechtschreibung entlarvt den Verfasser als Laien. Auch kann man dem Kommentar kaum zustimmen, denn die Bedeutungsübertragung vor allem bei diesem Beispiel ist sehr gut bewerkstelligt worden.
Die Vergleichspraxis kann auch umgekehrt funktionieren. Denn es gibt auch eine große Anzahl von Rezipienten, die sehr wohl beachtliche, englische Sprach- und Kulturkenntnisse aufweisen können und deshalb eine gerechtfertigte Kritik der gängigen Praxis äußern. Das Problem ist wie so oft, dass eine Differenzierung wegen der Menge an Teilnehmern und der anonymen Struktur von Internetdatenbanken kaum möglich ist bzw. dem Laien nicht ersichtlich ist.
Von spezifischen Fanseiten abgesehen, werden beobachtete Übersetzungsfehler sehr häufig in nicht-serienspezifischen Foren (wie fehler-im-film.de oder auch dieseher.de), allgemeinen Foren (wie gute-frage.net oder wer-weißwas.de) und Blogs (uebelsetzt.de) angegeben oder sogar auf YouTube als vergleichende Videos eingestellt. Das alles sind unterschiedliche Auswirkungen einer neuartigen Vergleichspraxis, die durch das Internet dezentralisiert und demokratisiert wurde. Diese Vergleichspraxis ist ein Ausdruck eines sich ausweitenden Bedürfnisses, das sprachliche Original zu verstehen, den exakten Wortlaut zu kennen, den vollständigen Inhalt zu begreifen.
Auch in der wissenschaftlichen Literatur macht sich dieses Interesse bemerkbar. Es liegen mittlerweile vielfältige Veröffentlichungen zur Übersetzbarkeit von TV-Serien vor. Diplomarbeiten von Rita Thiesing und Elke Unholzer zu Smack the Pony, Patrick Jantke zu The Office oder Vanna Hoffmann zu Futurama und Gilmore Girls beschäftigen sich allesamt mit dem Vergleich zwischen der originalsprachigen Fassung und der übertragenen Fassung der besagten TV-Serien.
Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Praxis, die sich schon immer für Übersetzungen und deren Problemstellungen interessierte, entwickelt sich eine massenhafte komparative Praxis, die regelrecht als Volkssport bezeichnet werden kann. In einer in Hoffmans Diplomarbeit veröffentlichten Email weist Christian Hillemeyer aus der Presseabteilung von MTV auf dieses Phänomen hin: "Zum anderen sprechen wir mit unserem Programm eine Zielgruppe an, die aufgrund ihres jugendlichen und „hippen“ Backgrounds meist des Englischen mächtig ist und vor allem selbst eine Ausstrahlung von Sendungen im Originalton präferiert. Man darf nicht vergessen, dass gerade der Pop-Bereich sehr kosmopolitisch funktioniert."
Nun bleibt die Frage, was diese neue Vergleichbarkeit nach sich ziehen könnte? Die komparative Praxis könnte einen nachhaltigen Effekt auf die Wahrnehmungs- gewohnheiten der Zuschauer haben, denn der Erfolg einer Serie könnte in Zukunft stärker davon abhängen wie hochwertig die Übertragung der fremdsprachigen TV-Serie ins Deutsche ist. Das könnte zum Beispiel Einfluss auf diejenigen Zuschauer haben, die sich sowohl das Original als auch die Übertragung ansehen wollen. Ist die Übertragung aber "schlechter" als das Original, könnte der nationale Erfolg der Serie stark darunter leiden.
Dies war beispielsweise der Fall als der deutsche TV-Sender Sat-1 die englische TVSerie The IT-Crowd mit deutschen Darstellern neu produzierte unter dem Titel Das iTeam ausstrahlen wollte. Die deutsche Adaption der TV-Serie wurde nach nur zwei ausgestrahlten Episoden (von sechs) wieder abgesetzt. Das Thema der TV-Serie The ITCrowd spricht insbesondere mit Computertechnologie vertraute Rezipienten an, die wegen ihrer Computer- und Internetkenntnisse das Original vermutlich lange vor der Ausstrahlung der Adaption bereits gesehen hatten. Die Adaption konnte aus verschiedenen qualitativen Aspekten mit der Originalfassung nicht mithalten, weshalb die deutsche Adaption erfolglos blieb.
Wenn die illegale Downloadpraxis als orale Werbefunktion betrachtet wird – weil man annehmen muss, dass diejenigen Downloader, denen die heruntergeladenen Inhalte gefallen, diese auch weiterempfehlen – dann muss die übertragene Fassung der Empfehlung gerecht werden. Wird ihr die übertragene Fassung nicht gerecht, wird eine hohe Erwartungshaltung nicht eingehalten und der Zuschauer wird dem gesehenen Medienprodukt eine mindere Qualität beimessen. Die TV-Serie verliert. Außerdem werden all diejenige Rezipienten, die das Original konsumiert haben und auch die Synchronfassung besitzen wollen, angesichts einer im Vergleich qualitativen Verschlechterung vermutlich von einem Erwerb Abstand nehmen.
Da die Vergleichbarkeit und die Vergleichspraxis zunehmen, kann man davon ausgehen, dass der Einfluss dieser Downloader größer wird. Eine qualitativ schlechte Übertragung wird nicht mehr nur von einer kleinen Gruppe an Rezipienten wahrgenommen, sondern von einer großen Masse.
Man kann daher annehmen, dass die Qualität von Synchronfassungen in Zukunft eine wesentlich größere Rolle für den wirtschaftlichen und ideellen Erfolg einer TVSerie spielen wird als dies in der Zeit vor der digitalen Reproduktionspraxis der Fall war. Das lässt auf bessere Synchronfassungen hoffen.