Original Kopie Adaption

Original – Kopie – Adaption

Die TV-Serie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit

von Michael Scheyer

 

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Es bleibt übrig einen genaueren Blick darauf zu werfen, wie sich eigentlich die originalsprachige Fassung und die übertragene Fassung einer TV-Serie zueinander verhalten und inwiefern der Stellenwert des Reproduktionsprozesses einen Einfluss auf die Wahrnehmung der beiden Sprachfassungen hat.

In Internetforen und alltäglichen Gesprächssituationen lässt sich eine Neigung beobachten, die Rezeption originalsprachiger Fassungen zu überschätzen. Diese Neigung findet ihren Ausdruck in dem häufig zu hörenden und zu lesenden Kommentar: „Das Original finde ich aber besser.“

Ganz ähnlich dem Aufsatz Benjamins haftet dem Kommentar immer eine unterschwellige Gültigkeit an. Doch nicht nur das. Diese Kommentatoren gehen oft soweit, geradezu tautologisch zu postulieren, dass der Rezeption von originalsprachigen Fassungen ein deutlich höherer Stellenwert beizumessen ist als der Rezeption von übertragenen Fassungen. Ein solches Postulat hält einer genaueren Untersuchung aber selten stand, da in den allermeisten Fällen die textlichen Unterschiede zwischen originalsprachiger Fassung und übertragener Fassung per se negativ wahrgenommen werden. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass der kommunikative Nutzwert einer TV-Serienrezeption primär von den Bedingungen abhängt, die der individuelle Rezipient mitbringt und nicht von dem Grad an Veränderung einer Übertragung.

Es gibt zahlreiche Gründe, warum eine Synchronfassung von einem Rezipienten negativ wahrgenommen werden kann. Z.B. fehlende Lippensynchronität, stilisierte und profillose Stimmen oder ein durch die Übertragung verursachter Bedeutungsverlust könnten Gründe sein. Mit Ausnahme der Lippensynchronität jedoch können die beiden letzteren Argumente nur im Vergleich erkannt werden und da eine veränderte Übertragung dieser nicht zwangsläufig als Verlust bewertet werden dürfen, sondern unter Umständen als Gewinn, sollten diese Faktoren nicht als Verlustfaktoren, sondern als Variablen betrachtet werden. Als Variable sind all solche Faktoren gemeint, die bei der Übertragung von audiovisuellem Material beeinflussbar sind, z.B. Stimme, Dialekt, Intonation, usw.

Vergleicht man zum Beispiel die ausgewogene Phonetik und Charakteristik der deutschen Synchronstimmen der TV-Serie Sex and the City mit den Originalstimmen, fällt auf, dass die Stimmen der Synchronsprecherinnen viel besser zu den Figuren passen als die Stimmen der Originalschauspielerinnen. Ein Grund dafür ist, dass die für die Synchronisation verwendeten Stimmen besser die Attribute der Reife, der Erotik, der Komplexität und der Komik transportieren als die sehr hohen, jugendlichen und daher mädchenhaft und unerfahren wirkenden Stimmen der wirklichen Schauspielerinnen.

Auch die Synchronstimme des Sprechers der Figur J.D. aus Scrubs vermittelt eine der Figur angemessenere Charakteristik als die Originalstimme des Schauspielers Zach Braff. Das gleiche gilt für die Synchronsprecherin der Figur Susan aus Desperate Housewives im Gegensatz zur Stimme der wirklichen Schauspielerin Teri Hatcher. In beiden Fällen sind die wirklichen Stimmen der Schauspieler eher gewöhnlich und flach, während die Synchronstimmen wesentlich dynamischer klingen.

Man mag einwenden, dass die Qualität der Stimme von der Gewöhnung und der subjektiven Wahrnehmung des Rezipienten abhängt, aber eine kürzlich veröffentlichte Arbeit von Vivien Zuta zeigt, dass die phonetische Bandbreite einer Stimme für die Wirkung auf einen Zuhörer viel wichtiger ist und mehr Emotionen auslösen kann als zum Beispiel die oft vermutete Tiefe einer Stimme. So wie das Aussehen eines Menschen von Betrachtern unbewusst mit Charaktereigenschaften verbunden wird, die dem tatsächlichen Charakter überhaupt nicht entsprechen müssen, kann auch eine Stimme bei einem Zuhörer unbewusst Vorurteile oder Assoziationen auslösen, die dazu führen, dass bestimmten Stimmen bestimmte Charaktereigenschaften zugeschrieben werden.

Gut aussehenden Menschen werden nur aufgrund ihres Aussehens positive Charaktereigenschaften unterstellt, die nicht zutreffen müssen. Ebenso werden Stimmen bestimmte Charaktereigenschaften zugeschrieben, die nicht mit dem Inhaber der Stimme übereinstimmen müssen. Es geht also immer um die Wirkung, die das Aussehen oder die eine Stimme bei dem Zuschauer auslöst. Wenn ein bekannter Schauspieler eine uninteressante Stimme hat, kann die von ihm verkörperte Rolle über die Wahl der Synchronstimme aufgewertet werden.

Deshalb entfaltet auch Robert Deniros Synchronsprecher eine größere Wirkung beim Zuschauer als seine Originalstimme. Es ist also eine einfache Rechnung: Je höher die phonetische Bandbreite einer Stimme ist, desto mehr Emotionen werden übertragen, desto komplexer und interessanter erscheint die Figur. Hat eine Synchronstimme eine höhere phonetische Bandbreite als die Stimme des tatsächlichen Schauspielers, kann man davon ausgehen, dass die Synchronstimme in der Wahrnehmung der Zuschauer als interessanter empfunden wird. Die von Zuta angedeuten „dynamischen Eigenschaften“ von Stimmen wie Klangfarbe, Sprechrhythmik, Dialekt, Melodie, etc. sind wahrscheinlich von größerer Bedeutung für die Wirkung einer Figur als deren Text, als das, was sie sagt.

Obwohl sie in der Übertragungspraxis eher eine Randerscheinung darstellen, sollen trotzdem die Filme von Bud Spencer und Terrence Hill angesprochen werden, deren deutsche Synchronfassungen wesentlich mehr Textinhalte haben als die Originalfassungen. Das Synchronstudio legte wegen aufkommender Langeweile während der berühmten Prügelei-Sequenzen den Schauspielern an den Stellen Worte in den Mund, an denen ihre Lippen nicht zu sehen sind. Aufgrund der höheren Anzahl von amüsanten Formulierungen als in der Originalfassung, kann man davon ausgehen, dass die Synchronfassung eine größere Wirkung im Publikum entfaltet als die Originalfassung.

Es zeigt sich also, dass diese Faktoren, wenn sie denen der Originalfassung nicht entsprechen, nicht per se als Verlust betrachtet werden können, sondern neutraler Weise als das, was sie sind: als Variablen. Ob die übertragene Fassung qualitativ besser ist oder nicht, hängt insbesondere stark von der Kompetenz (und der Intention) des Synchronstudios und des Budgets für die Synchronisation ab und sollte nur im Einzelfall geklärt werden.

Aber was alle drei Argumente in der Wahrnehmung der vielen Zuschauer verbindet, ist offensichtlich eine Art von Verlust. Wann immer die originalsprachige Fassung mit der übertragenen Fassung verglichen wird, ist von einem Verlust die Rede. Es ist allerdings anzunehmen, dass dieser Verlustfaktor wesentlich seltener der Fall ist als die Wahrnehmung glauben macht. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Zuschauer einer Erwartungshaltung unterliegen, welche ihre Ursache in den veränderten Wahrnehmungsgewohnheiten der Zuschauer hat, die mit den digitalen Reproduktionstechnologien einhergehen und die sich in der Reproduktionskultur unserer Zeit widerspiegeln.