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Die TV-Serie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit

von Michael Scheyer

 

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Der Erfolg der neuartigen TV-Serien ist aber nicht nur über deren Ausstrahlung ersichtlich. Der Anteil von Printpublikationen, die sich mit dem Medium TV-Serie beschäftigen, scheint anzusteigen.

In den vergangenen Jahren beschäftigten sich mehrere Diplomarbeiten mit erfolgreichen TV-Serien, sowie zahlreiche Buch- Publikationen. Besonders hervorheben ist hier die Diplomarbeit von Markus Reinecke,der sich mit der TV-Serie Lost beschäftigt und als Beispiel für eine neuartige Serienart nutzt. Außerdem veröffentlichte der Schnittverlag, der sich traditionell dem Medium Spielfilm widmet, eine Aufsatzsammlung mit Besprechungen verschiedener außergewöhnlicher US-amerikanischer TV-Serien. Ähnlich wie Reinecke verweisen einzelne Autoren dieses Werks auf die neuartigen und unkonventionellen Erzählweisen der jeweiligen TV-Serien.

Doch die Resonanz auf TV-Serien ist auch über wissenschaftliche Publikationen hinaus spürbar. Diverse Zeitungsfeuilletons befassten sich in den vergangenen Jahren häufiger mit modernen TV-Serien. Es ist jedoch notwendig diese Aussage differenzierter zu betrachten, denn man mag einwenden, dass TV-Serien für die Presse schon immer eine Bedeutung hatten. Dieses Interesse galt jedoch hauptsächlich dem Boulevard, der sich schon immer für Soap-Operas oder Telenovelas interessierte, da diese Formate sich an eine große Masse wenden. Das Interesse der Leser richtete sich dabei allerdings primär auf den Klatsch und Tratsch der Darsteller, nicht auf die Qualität der Serie an sich.

Printmedien haben ausdifferenzierte Leserkreise, die sich im Großen und Ganzen durch soziale Milieus, Bildung und kulturelles Interesse voneinander unterscheiden. Da Soap-Operas sich eher an eine breite Masse richten und deswegen sehr einfach konstruiert werden, ist das Interesse von elitären Zeitungen und deren Leserkreise an diesen TV-Serien eher gering. Soap-Operas werden in Zeitungsfeuilletons für höhere Bildungsschichten selten besprochen. Dies änderte sich allerdings mit dem Erscheinen der vielen neuartigen TV-Serien. Die HBO-Serie The Wire wurde besprochen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in der Süddeutschen-Zeitung und in der Zeit. Es ist eindeutig, welchen Gesellschaftsschichten die Leserkreise dieser drei Zeitungen angehören. Die weltweit derzeit erfolgreichste TV-Serie CSI(gemessen an Quoten und Gewinnen) taucht dagegen überwiegend in solchen Printmedien auf, deren Zielgruppen breitere Gesellschaftsschichten sind.

Es soll an dieser Stelle kein deterministischer Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit und Serienauswahl hergestellt werden, so können selbstverständlich auch Zeit-Leser Gute Zeiten Schlechte Zeiten konsumieren, so wie sich Bild-Leser von The Wire unterhalten lassen können. Die Tendenz ist aber kaum von der Hand zu weisen, dass mit steigender Komplexität und kulturellem Anspruch, die Zuschauergruppen sich verlagern von breiten Gesellschaftsschichten zu elitären Gesellschaftsschichten. Dieser Sachverhalt wird dadurch unterstrichen, dass The Wire erst seit dem 11. September 2008 in Deutschland ausgestrahlt wird, das heißt, dass die Serie zum Zeitpunkt des Erscheinens der Zeitungsartikel in Deutschland gar nicht ausgestrahlt wurde. Die Zeitungen trauen ihren Lesern also zu, sich für US-amerikanische Kulturgüter zu interessieren, ohne dass synchronisierte Fassungen vorliegen. Leser, die sich für The Wire interessierten, mussten sie sich über den US-amerikanischen Handel bestellen, was mit hohen Kosten verbunden ist und dann auf Englisch ansehen, was schwierig zu verstehen sein kann. Dies bedeutet, dass die TV-Serie kein Medienprodukt mehr ist, dass sich nur an mittlere bis untere Gesellschaftsschichten richtet, sondern auch in höheren Gesellschaftsschichten von zunehmender Bedeutung ist.