Original – Kopie – AdaptionDie TV-Serie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeitvon Michael Scheyer
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Ungefähr mit dem Jahrtausendwechsel begann sich die fiktionale TV-Serie von ihrem Dasein als zweitklassiges TV-Medienprodukt zu emanzipieren.
Man kann dabei von einem Siegeszug sprechen, denn Einschaltquoten und Verkaufszahlen übersteigen heute nicht selten jene von Spielfilmproduktionen. Im Prinzip reichen viele moderne TV-Serien sowohl ästhetisch als auch dramaturgisch an die Standards von Kinospielfilmen heran und überschreiten sie manchmal sogar.
Es ist nicht überraschend, dass gerade US-amerikanische TV-Serien ungefähr seit dem Jahrtausendwechsel einen weltweiten Siegeszug angetreten haben, deren Ende bislang nicht in Aussicht steht. Nicht nur konventionelle Serienformate erleben immer größeren Zuwachs; den Erfolg verdankt die TV-Serie an sich einer völlig neuen Serienart, die nur durch den technologischen Fortschritt möglich wurde.
1972 nahm der US-amerikanische Bezahlsender HBO sein Programm auf. Da HBO als Pay-TV-Sender nur von den Abonnenten empfangen werden kann, unterliegt der Sender nicht den gleichen Restriktionen wie die öffentlichen TV-Stationen. HBO gilt heutzutage als der finanzstärkste TV-Sender der Welt, dessen Erfolg teilweise auf die unbeschränkte Darstellung von Gewalt und Sexualität zurückgeführt wird und auch auf die fehlenden Werbeunterbrechungen. HBO verfügt über ein enormes Investmentkapital und kann wegen des zahlenden Kundenstamms eine progressive Programmgestaltung betreiben. Es gilt den Abonnenten ein entsprechend attraktives Programm zu bieten, welches ihnen auf öffentlichen Sendern vorenthalten bliebe. Als erster Sender begann HBO Ende der neunziger Jahre damit, qualitativ hochwertige Serien wie OZ oder The Sopranos ohne Werbeunterbrechungen auszustrahlen. Nach deren und weiteren Erfolgen, wie Six Feet Unter, The Wire und Dexter, war es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis weitere TV-Sender nachzogen und gleichwertige TV-Serien in ihrem Programm anboten, wie zum Beispiel die auch hierzulande besonders erfolgreichen Serien 24, Lost oder Heroes. Seither erreichten TV-Serien immer wieder neue Zuschauerrekorde.
Die großen Erfolge dieser neuartigen Hochglanzserien schmälerten den Erfolg von bereits laufenden Serien keineswegs, ganz im Gegenteil. Die Simpsons, King of Queens und andere klassische Serien erfreuen sich großer Beliebtheit, bekommen durch das Fahrwasser der großen Erfolgsserien sogar neuen Auftrieb.
Seit den Erfolgen dieser Hochglanzserien nimmt die TV-Serie in der Programmgestaltung einen völlig neuen Stellenwert ein. Dies spiegelt sich in den stetig steigenden Produktionsbudgets wider und auch in den besseren Sendeplätzen (Prime Time), die TV-Serien mittlerweile zur Verfügung gestellt werden. Eine weitere Konsequenz des Erfolges ist ein gesteigerter Grad an Prestige, der für kreative Berufe von Bedeutung ist und der begabte und gut ausgebildete Menschen dazu veranlassen kann, sich für die Herstellung von TV-Serien ebenso zu interessieren wie für die Herstellung von Spielfilmproduktionen. Die Namen der Produzenten und Entwickler wirken oft ähnlich wie Markenzeichen und ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Im Januar 2008 führte das sogar dazu, dass der Name des Serienproduzenten und Drehbuchautoren von Lost, J.J.Abrams, in einem Kinotrailer ausreichte, um Millionen von Konsumenten dazu zu bringen, bereits lange vor der Ausstrahlung sich für dessen Spielfilm Cloverfield zu interessieren.
Es ist der progressiven Programmgestaltung von HBO zu verdanken, dass TVSerien den Sprung in eine höhere Klasse schafften. Dieser Sprung in die Prime Time Ausstrahlung, die damit verbundene Einschaltquoten- und Renditensteigerung führen zu gesteigerten Ausgaben bei der Herstellung, was sich auf Qualität und Ansehen der TVSerien auswirkt. Die TV-Serie erlebt heute eine wesentlich bessere Positionierung in der Erstverwertung.