Original – Kopie – AdaptionDie TV-Serie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeitvon Michael Scheyer
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Seitdem Kulturgüter vertrieben werden, gibt es auch illegale Kopien von Kulturgütern. Die illegale Reproduktion ist also kein Phänomen der Neuzeit. Bereits in der klassischen Malerei gab es Fälscherwerkstätten, die in der Lage waren, Originalkunstwerke täuschend echt zu reproduzieren.
Mit der digitalen Reproduktionstechnologie hat sich die illegale Kopie auf eine qualitativ bessere Ebene erhoben. Wie bereits oben beschrieben, bricht die von den Verbrauchern betriebene Reproduktionskette durch die digitalen Reproduktionsverfahren nicht ab. Zur Zeit der analogen Reproduktion waren Kopien nach einer bestimmten Anzahl von Generationen völlig unbrauchbar, weshalb sich die Reproduktionspraxis auf nur einen kleinen Kreis von Menschen beschränkte, die Qualitätsverluste in Kauf nahmen, um überhaupt Medien rezipieren zu können. In diesem Zusammenhang sprach man oft vom "Schulhofschwarzmarkt".
Eine neue Dimension von illegaler Reproduktionspraxis brachte das allgemein erhältliche CD/DVD Laufwerk, genauer gesagt der CD/DVD Brenner. Mit dem "Zwei-Wege-Laufwerk", den heutigen leistungsstarken Computern und den weit entwickelten Programmen ist es heutzutage eine Kleinigkeit, CDs oder DVDs eins zu eins zu reproduzieren. Dadurch gelangt eine beträchtliche Zahl von illegalen DVD-Kopien in Umlauf und erreicht eine hohe Zahl von Menschen. Diese Art der Kopie wird hauptsächlich vom organisierten Verbrechen betrieben und macht den allergrößten Teil des Medien-Schwarzmarktes aus. Diese Form der Reproduktionspraxis ist ausschließlich finanziell motiviert und hat mit der Reproduktionspraxis des einzelnen Rezipienten nur wenig zu tun. Vor allem auch deswegen, weil die meisten illegalen Kopien dieser Art professionell gemacht sind und von den Originalen kaum zu unterscheiden sind. Diese kriminelle Reproduktionspraxis ist für den allergrößten Teil der Schäden und Verluste verantwortlich, die von der Industrie beklagt werden. Aber nicht nur eine physische Kopie lässt sich einfach erstellen, auch eine digitale Kopie ist kein Hexenwerk mehr. Der so genannte "DVD Rip" lässt sich bequem am Rechner erstellen und ist (abhängig von Format und von Kodierung) nur eine Frage der Dauer.
Durch den Computer und den CD/DVD-Brenner verschwimmt die Grenze zwischen physischer und virtueller Reproduktion immer mehr. Ein digitales Produkt kann auf einfache Weise physisch gebrannt und eine gebrannte DVD auf einfache Weise digitalisiert werden. Eine ausgeliehene DVD kann, indem sie digitalisiert wird, theoretisch als Ausgangsprodukt für mehrere tausend, vielleicht Millionen Kopien sein. Denn ein digitales Abbild der DVD kann nun nicht mehr allein über eine physische Reproduktion erstellt werden, sondern auch über den virtuellen Umweg durch das Internet.
Das CD/DVD-Laufwerk brachte die Reproduktionspraxis aus den Kopierwerkstätten des Verbrechens in die Wohnzimmer der Verbraucher, so dass Millionen von Menschen an der Reproduktionspraxis teilnehmen können. Es fungiert dabei als Schnittstelle und verbindet die physische Reproduktionspraxis mit der virtuellen. Die physische Reproduktionspraxis zeichnet sich dadurch aus, dass sie vom Individuum ausgeführt wird, während die virtuelle Praxis eine kollektive Praxis darstellt.