Einmal im Jahr wurde wechselweise einer der drei kleinen Orte Aars, Fredericia oder Herning in Dänemark für jeden Scener, legal oder illegal, zum Mittelpunkt der Welt. Zwischen Weihnachten und Silvester fand vor mehr als 20 Jahren das größte Scenetreffen der Welt statt. Tausende von Hackern, Phreakern, Tradern, Codern, Grafikern und Computer-Musikern reisten um den halben Globus, um an diesem Ereignis teilzunehmen.
Dieses gigantische Treffen, in der Scene als „The Party“ bekannt, war ein organisatorischer Geniestreich. Dabei waren die meisten Organisatoren der Party kaum älter als 23. Presse und Fernsehen waren häufig anwesend, um das Ereignis zu dokumentieren. Auch Verantwortliche führender Softwareunternehmen kamen auf diese Party und nutzten die Gelegenheit, neue Talente anzuwerben, bekannt als Headhunting. Mehr Informationen über „The Party“ waren zu finden unter der Website theparty.dk.
Derartige Parties fanden meist in riesigen Hallen statt. Für „The Party“ in Dänemark wurden seit Jahren Messehallen angemietet, um die enormen Menschenmassen fassen zu können.
Sogenannte Scener erscheinen noch heute in 2024 ständig auf irgendwelchen kleineren oder mittelgroßen Parties in ganz Europa. Früher noch um ihren Bekanntheitsgrad zu sichern, heute um alte Freunde und Hacker wiederzutreffen. Doch das war kaum Grund genug für ein Scener, eine stundenlange Reise auf sich zu nehmen. Im Mittelpunkt stand undsteht immer der Spaß an der Sache: Scener treffen, alte Gesichter wiedersehen, neue Freundschaften schließen und vor allen Dingen die Arbeit der anderen bewundern.
Da die meisten Scener Autodidakten sind, nutzten viele diese Gelegenheit, um sich neues Wissen anzueignen. Häufig stand man vor technischen Problemen, die man selbst nicht lösen konnte. Hier stand der Austausch mit anderen Scenern an erster Stelle.
Für einen Außenstehenden mag die Vorstellung, bei einer Party anwesend zu sein, auf der nur Computerfreaks herumgeistern und sich in hermetischer, fast wissenschaftlich erscheinender Sprache über abstruse Themen der Computerwelt unterhalten, dem Effekt einer Valiumtablette gleichkommen. Ganz so war es dem aber nicht. Die verbreitete Vorstellung, dass auf einer solchen Veranstaltung nur Menschen mit Hornbrille und Pickeln umhergeistern, traf nicht zu. Ebenso falsch wäre es allerdings, das Gegenteil zu behaupten. Den durchschnittlichen Scener kann man nun mal nicht ermitteln. Man traf Menschen, von denen man nicht einmal denken würde, dass sie der Programmierung eines Videorekorders mächtig seien. Und nicht selten sind es genau diese, die die Computerelite darstellen. Die Bandbreite reicht von Punker bis Papa, von scheinbar normal bis total übergeschnappt, von jung bis alt. Es war einfach alles vertreten, was das bunte Leben zu bieten hatte. Toleranz wird in der legalen Scene nicht nur mit großen Lettern geschrieben.
Auf vielen Parties im deutschen Raum konnte man sogar den bekannten und berüchtigten Rechtsanwalt Günter von Gravenreuth, dem Scenefeind Nummer Eins, antreffen. Der tragische Tod des Anwalts ist im Artikel „Hat die taz den Abmahnanwalt Gravenreuth umgebracht?“ zu lesen. in Was auch immer seine Motivation war, ständig Scenepartys zu besuchen, waren sie beruflicher Natur oder rein privat: selbst er war willkommen, wie ein Mitglied der Familie. So kam es nicht selten vor, dass Jäger und Wild zusammen an einem Tisch saßen und sich gegenseitig zuprosteten. Auf einer Sceneparty hatte jeder freies Geleit. Irgendwie machte er es selbst den illegalen Scenern, die das Glück hatten, ihm noch nicht auf beruflicher Ebene zu begegnen, schwer, ihn nicht zu mögen. Denn wer von Gravenreuth schon einmal auf einer Party erlebt hatte, kann bezeugen, dass er für jeden Spaß zu haben war. Es war fast so, als hätte er keine anderen Freunde auf dieser Welt. Auf der „Rainbow Party“ in Aachen beispielsweise ließ er sich zu einer Runde Fußball überreden und dribbelte seine Kontrahenten gekonnt aus. Es war wohl seine unermüdliche Art sich immer zwischen junge Scener zu mischen, die ihm in einer Ausgabe des Magazins „Amiga Joker“ den Titel „Partylöwe“ einbrachte. Seine Aufkleber mit der Aufschrift „Don’t spread illegal copies, Gravenreuth is watching you!“ (zu Deutsch: Bring keine illegalen Kopien in Umlauf, Gravenreuth sieht Dich!) werden mittlerweile hoch gehandelt.
Von Gravenreuth, von der Scene oft auch Günni genannt und in den NFO Files mit GvG abgekürzt, gehörte zumindest in der deutschen Scene fast schon zum Inventar. Auf der „Coma Party“ liefen ihm einige wild gewordene Scener hinterher, um sich ein Autogramm auf ihr Mousepad geben zu lassen.
Wie vielfältig das Spektrum an Besuchern auch war, man musste wohl ein wenig verrückt sein, um sich diesem Haufen anzuschließen. Was geht im Kopf eines Coders vor, der zwei Tage und Nächte auf seinen Computer eingetippt hat, um dann zu sehen, dass nichts so läuft, wie er es sich vorgestellt hat? Oft sah man Leute, die den Abdruck ihrer Tastatur im Gesicht haben, weil sie vor lauter Schlafentzug erschöpft auf ihrem Rechner zusammengebrochen sind.
Neben der Riesenmenge an Computern, die von den Besuchern zu einem Partyplatz mitgeschleppt wurden, fanden sich noch allerhand andere Gerätschaften, die man zum täglichen Überleben brauchte. Auf größeren Parties mit über 2.000 Besuchern waren Kühlschränke, Elektroherde und Fernseher keine Seltenheit. Hin und wieder kam es dann auch zu Streitigkeiten, weil zum Beispiel Mikrowellen als Störsender die Funktion von Monitoren beeinträchtigen. Platzprobleme ließen andere zu wahrhaftigen Zirkusakrobaten werden. Eine Mikrowelle, die halsbrecherisch über einem Monitor schwankt und eine Pizza nach der anderen ausspuckte, interessierte den am Computer sitzenden Coder nur wenig. Er war nur darauf bedacht, dass, falls die Mikrowelle herunterfallen sollte, seine Tastatur keinen Schaden nimmt. Deshalb bastelte er sich ein Mikrowellen-Fall-Frühwarnsystem, das aus einer Schnur und einer Kuhglocke bestand, die an der Mikrowelle und am Fernseher des Nachbartisches befestigt war. Wenn die Mikrowelle nun langsam nach vorne wegrutschen sollte, bimmelte die Glocke, und der Coder hatte noch genügend Zeit, die bevorstehende Katastrophe abzuwenden. Es bleibt ein Rätsel, wer auf die Idee kam, eine Kuhglocke mit auf die Party zu nehmen.
Jeder wollte auf einer Party gegen alle erdenklichen Fälle gewappnet sein, und so nahm man einfach alles mit, was irgendwie brauchbar war. Und wenn man etwas nicht brauchte, nahm man es trotzdem mit, um die anderen Besucher zum Lachen und Staunen zu bringen. Jeder inszenierte sich selbst, je verrückter, desto besser. Denn verrückt ist lustig, und Spaß wollten alle haben. Wer einmal in seinem Leben eine Sceneparty miterlebt hatte, wird dieses Erlebnis in Erinnerung behalten und den Sinn dieser Veranstaltungen besser verstehen. Wie bei vielen Dingen im Leben ist es schwer zu erläutern, worin der Reiz einer Sceneparty bestand.
Parties fanden in der Regel über einen Zeitraum von mehreren Tagen statt, was auch nötig war. Die Vielfalt des Programms auf einer solchen Party war so groß, dass man sich kaum traute zu schlafen, um bloß nichts zu verpassen. Das Angebot ging von Tanzeinlagen auf der Bühne bis hin zu Sportturnieren wie Modem-Weitwurf oder Computer-Fußball auf dem Vorplatz des Partygeländes. Die Organisatoren der Parties ließen sich immer wieder etwas Neues einfallen, um ihre Party zu einem unvergesslichen Event zu machen. So gab es immer wieder verrückte Wettbewerbe, wie zum Beispiel den „Computer-Zerstör-Wettbewerb“, der auf der „Saturne Party“ in Paris viele Scener wie gewalttätige Monster aussehen ließ. Es gab einen völlig verrückten Typen, der mit einem Schwert, das er von zu Hause mitgebracht hatte, solange auf einen Computer einschlug, bis es in zwei Teile brach. Ess- und Trink-Wettbewerbe erfreuten sich auch immer wieder neuer Beliebtheit. Es war ein verrückter Anblick, jemandem dabei zuzusehen, wie er eine 1,5-Literflasche Cola in nur 20 Sekunden leer trank.
Doch der wichtigste Wettbewerb einer Party war und blieb mit dem Computer verbunden und war oft in drei Grundwettbewerbe aufgeteilt: Demo, Grafik und Musik. Hier konnte jeder sein Können beweisen. Demos und Grafiken wurden auf eine riesige Leinwand projiziert. Musik wird abgespielt und später von einem Jurorenteam oder von den Besuchern bewertet. Den Gewinnern wanken Geld- oder Hardwarepreise, die sich durchaus sehen lassen könnten. Sie schwankten zwischen umgerechnet 100 und 5.000 Mark – heute durchaus mit 100 bis – 5000 Euro zu vergleichen, wenn man den Wert des Geldes von damals mit heute vergleicht. Die Höchstsumme, die bei der Prämierung der besten Demo auf einer Veranstaltung je ausgesetzt war, belief sich auf 50.000 Mark.
Doch dies war nicht der größte Ansporn, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Wie bei den olympischen Spielen galt hier eher: „Dabeisein ist alles“ Hinzu kam noch, dass es schon ein angenehmes Gefühl war, wenn die eigene Produktion von über tausend Experten mit tosendem Applaus bejubelt wurde. Die Mitarbeiter von Demos wurden wie Stars umringt und regelrecht gefeiert. Eine bessere Motivation, um ein neues Projekt in Angriff zu nehmen, gab es nicht. Neben diesen drei Grundwettbewerben tauchten immer neue Wettbewerbe auf, die sich zu festen Bestandteilen einer Party entwickelten. Einer, der mittlerweile zum festen Programm jeder Party geworden war, war die „Wild Competition“, in der jeder das machen konnte, was er wollte. Wenn jemandem danach war, auf die Bühne zu steigen und laut zu singen, dann durfte er das im Rahmen der Wild Competition tun. Es war einfach alles erlaubt, was lustig, verrückt oder einfach nur „wild“ war. Natürlich gab es auch kreative Beiträge. Beliebt waren Kurzfilme und alles rund um das Medium Video.
Parties waren nicht nur ein wesentlicher Teil der legalen Scene, sie waren auch für viele illegale Softwarepiraten ein Ort, an dem sie neue Beziehungen knüpften.
6. Hauptsache Spaß
Vom Cracker zum Coder
Demos: Die elektronische Kunst
Wenn die Scene feiert
7. In Kontakt mit der Szene