von Lars Hering
Jahrelang war William Sen ein Hacker. Der 35-Jährige sorgte schon als Jugendlicher für ratlose Gesichter bei Computer-Spezialisten. Doch mit Beginn seines Studiums an der Fachhochschule Köln wurde ein neues Kapitel in seinem Leben aufgeschlagen.
Heute ist William Sen Geschäftsführer der Firma infospeed und berät milliardenschwere Firmen. Im Interview spricht er über den neuen Einfluss des Konsumenten in Zeiten von Social Media und verrät, wie er sich als Jugendlicher ins Uni-Netzwerk eingehackt hat.
Eine nicht alltägliche Karriere
Sen: Ich war schon als Achtjähriger fasziniert von Computern. In der Hacker-Szene kam ich mit etwa 13 Jahren in Kontakt mit deutschen Gruppen die Paranoimia oder Skid Row hießen. Dort fand ich nicht nur Antworten auf die technischen Fragen, die mir der Lehrer aus der Computer-AG nie beantworten konnte – oder wollte. Ich fand die Hacker auch extrem cool. Selbst wenn ich anfangs nicht immer wusste, worüber sie sprachen.
Sind Sie da auch mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten?
Ach, das war früher anders. Für digitale Güter gab es Ende der 1980er Jahre noch kaum Regelungen. Ein Freund und ich haben uns zum Beispiel mal in ein Uni-Netz eingehackt. Dafür haben wir von einem uns bekannten Studenten den Benutzernamen genommen. Als die Passwortabfrage kam, gaben wir es falsch ein und wurden vom System rausgeschmissen. Das Uni-Anmeldesystem habe ich dann nachgebaut und bei einem Freund installiert, bei dem dieser Student an einem bestimmten Tag zu Besuch war. Als der die Rufnummer der Uni auf dem dortigen Modem wählte, wurde er automatisch auf unser System weitergeleitet. So loggte er sich dort ein, gab sein Passwort ein – und schon hatten wir es. So kamen wir ins Uni-Netz. In dem Alter macht man eben so einen Quatsch.
Wie ist infospeed entstanden?
Ich hatte […] Content-Mangement-Systeme gebaut. […] An der FH Köln lernte ich Professor Fank kennen. Er hatte gehört, dass ich Bücher geschrieben hatte und mir angeboten, in seinem Forschungsinstitut mitzuarbeiten. Wir haben uns sehr gut verstanden und er schlug vor, gemeinsam eine Firma zu gründen. Er hatte die Kontakte zur Wirtschaft und ich war der Computerfreak – eine gute Kombination. 2005 haben wir infospeed gegründet. Denn damals haben wir festgestellt, dass Konsumenten ihre Kaufentscheidungen mithilfe des Internets fällen. Das waren 2005 noch sehr wenige, aber Foren waren schon total in. Ford war unser erster Kunde. Unsere Idee war damals noch sehr visionär: Was in den Foren steht, geht Unternehmen etwas an. Es muss sie interessieren, welche Meinung User über ihre Produkte haben.
Was macht infospeed genau?
Wir beobachten User generated Content, also alles, was Konsumenten über ihre Erfahrungen mit Produkten oder Dienstleistungen eines Unternehmens schreiben. Dem wird unter Usern nämlich mehr Glauben geschenkt, als einem professionellen Journalisten. Wir picken also Informationen aus Blogs und Foren auf. Dann fassen unsere 22 Mitarbeiter sie zusammen. Den Unternehmen geben wir ein Bild davon, wie ihr Produkt gesehen wird. Und auch zum Image geben wir ihnen einen Report.
Wieso ist Social Media, also das, was Verbraucher einander im Internet über Produkte sagen, so wichtig?
Eigentlich ist es so, dass das Unternehmen seine Kunden steuern muss. In Zeiten von Social Media ist es aber so, dass die Konsumenten tun, was sie wollen – ohne Einflussmöglichkeit der Unternehmen. Wenn der Konsument nun derjenige ist, der die Bilder vorgibt, mit denen ein Unternehmen in Verbindung gebracht wird, hat es ein Problem. Ein Unternehmen kann also plötzlich dort stehen, wo es gar nicht stehen will. Dort muss es sich erst wieder heraus kämpfen. Das kann tödlich sein. Diese Kontrolle wird immer weiter verloren gehen. Die Kommunikation mit dem Kunden wird deshalb immer wichtiger.
Was wird sich im Bereich Social Media noch verändern?
Der Trend ist, dass Internet immer mobiler wird: Wissen immer und überall. Dadurch wird die Kommunikation einfacher. Wenn ich vor Ort sofort mitteilen kann, was ich über ein Produkt denke, dann nehme ich viel mehr Einfluss. Bisher ist dies noch sehr aufwändig. Kommen wird, dass das Handy durch Abfotografieren das Produkt erkennt und mir gleich dazu User-Bewertungen liefert. Darunter wird ein Feld sein, in das ich meine Bewertungen hineinschreibe, vielleicht auch einfach per Voice und Video. Ein erneuter Klick und es ist präsent für alle. Die Vereinfachung der Technik wird sich verändern und so den Einfluss der User nochmal multiplizieren.
Sie scheinen das Internet geradezu zu leben. Machen Sie auch mal Urlaub ohne Hardware?
Ich kann und werde nicht ohne mein Laptop irgendwohin fahren. Entspannung ohne Laptop geht nicht. Das ist mein Werkzeug. Ich kann mich entspannen, aber … Nein, es geht einfach nicht ohne Laptop (lacht).
Über seine Hacker-Erinnerungen schrieb WIlliam Sen einige Bücher (u. a. „Hackertales„). Mit dem Studienbeginn an der Technischen Hochschule Köln im Bereich Informationswissenschaft eröffneten sich andere Perspektiven. Gemeinsam mit seinem Dozenten Professor Matthias Fank, gründete er 2005 die Firma infospeed, das erste Unternehmen in Deutschland für Social Media Monitoring. Mittlerweile arbeitet Dr. Sen als Geschäftsführer in San Diego für die Firma blue media marketing, Inc.