Original Kopie Adaption

Original – Kopie – Adaption

Die TV-Serie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit

von Michael Scheyer

 

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Die besseren Sendeplätze allein, die sich in höheren Renditen durch Werbeeinnahmen auswirken, können die immensen Budgetsteigerungen aber nicht ausreichend erklären.

Zu den größeren Einspielergebnissen durch die Erstverwertung im TV, kommen deutlich größere Einnahmen durch Zweitverwertungen. Durch die digitale Ausstrahlungstechnologie nahm zum Beispiel die Anzahl der TVSender in Deutschland sprunghaft zu. Gegenüber 77 Fernsehsendern im Jahr 2000 listete die LFK in ihrer Programmliste 2007 schon 192 Sender auf. Damit nahm auch die Anzahl der Sendestunden von 1848 pro Tag auf 4608 zu. Die vielen neu erschaffenen Sender sind zwar eher Spartenkanäle und decken Nischeninteressen ab, trotzdem müssen die vielen Sendestunden mit Stoffen bestückt werden und es ist daher gar nicht überraschend, dass auf vielen dieser Spartensender veraltete TV-Serien ihre Renaisance erleben. So zeigt der Sparten-Sender Comedy-Central gegenwärtig veraltete TV-Serien wie die Golden Girls, Dharma & Greg und sogar die Filmreihe Eis am Stiel. Diese TV-Serien bekommen von den TV-Sendern im Hauptprogramm lange schon keine Sendeplätze mehr.

Diese Zweitverwertungsmöglichkeit klassischer Serien wirkt sich nur indirekt auf die Produktionsbudgets der neuartigen Seriengeneration aus, denn die Einspielergebnisse veralteter TV-Serien werden wahrscheinlich kaum in die Produktionsbudgets neuer TV-Serien eingerechnet. Das Zweitverwertungspotenzial gibt aber einen Aufschluss darüber, wie lange mit TV-Serien Geld zu verdienen ist. Auch nachdem eine TV-Serie im Fernsehen ausgestrahlt wurde, kann sie langfristig Geld erwirtschaften. Obwohl sie als eine Ausnahme gesehen werden sollten, zeigen schon Die Simpsons, dass eine TV-Serie auch sehr lange Zeit nach ihrer Premiere (Deutschland, Staffel 1: 13.9.1991) eine ordentlich Rendite erwirtschaften kann und dies mit fast 20 Jahre alten Folgen.

Neben den neuen digitalen TV-Sendern, ermöglicht die digitale Technik eine neue physische Distributionsmöglichkeit, nämlich die DVD. Dank der DVD sind der Erfolg und die Rendite einer TV-Serie nicht mehr an die TV-Ausstrahlung gebunden. Viele TVSerien werden in Staffelboxen vertrieben und verkauft. Die DVD eröffnet einen völlig neuen und besonders umsatzstarken Absatzmarkt. Bereits 2001 übertraf der Verkauf von DVDs den Verkauf von VHS-Kassetten und nahm bis 2005 sprunghaft zu. Seit 2005 bleiben die Verkaufszahlen von DVDs in Europa relativ konstant bei 1,3 Mrd. Euro jährlich. Der Verkauf von VHS-Kassetten im Jahre 1999 – als die DVD gerade erst auf den Markt kam – belief sich dagegen auf gerade mal 340 Mio. Euro. Während die VHS praktisch vollständig vom Markt verschwunden ist, könnte man in den nächsten Jahren einen weiteren Boom durch den Vertrieb der HD-DVD und Blue-Ray Discs annehmen. Da sich die Technologie über die HD-Technologie aber nicht erneuert, wie es bei der DVD (digital) und VHS (analog) geschehen ist, sondern nur erweitert (um die höhere Auflösung), wird der Boom wohl sehr viel schwächer im Vergleich zu dem von der DVD ausgelösten Boom ausfallen.

Interessant ist hier ebenfalls, dass nicht nur zeitlich aktuelle TV-Serien gekauft werden, sondern auch veraltete, klassische TV-Serien unterschiedlichster Genres wieder aufgelegt werden. So findet man in den Ladenregalen zum Beispiel Serien wie die Columbo-Filmreihe, Laurel und Hardy Sammlungen, Die Bezaubernde Jeannie. Vor der DVD waren diese TV-Serien nur in Sender- und wenigen Privatarchiven zu finden und eventuell in Specials und Rückblenden zu sehen gewesen. Wie sich das DVD-Angebot im Laufe der Zeit erweiterte und wie sich die Rezeption der TV-Serie auf DVD auf die TV-Serie selbst auswirkte, zeichneten Christian Junkewitz und Tanja Weber in ihrem Essay Unterhaltung aus der Box. Serienrezeption auf DVD nach. Der durch die DVD-Technologie sprunghaft gestiegene Zweitverwertungsgewinn, ließ die Produktionsbudgets von TV-Serien vermutlich sehr stark wachsen. Selbst die Spielfilmindustrie berücksichtigt seit mehreren Jahren bereits die DVD-Verkäufe in den Herstellungsskosten von Spielfilmproduktionen. Tatsächlich übertreffen die Absätze der DVDs (40 % der Umsätze) oftmals die Einspielergebnisse an den Kinokassen (30 % der Umsätze von Blockbuster Filmen). Dass dies bei der TV-Serie ebenfalls der Fall sein könnte, scheint zwar plausibel, doch liegen diesbezüglich noch keine Statistiken vor. Zu den ausgebauten Sendestunden und dem physischen Distributionsweg auf DVD kommt mit den gesteigerten Bandbreitenkapazitäten der Internetanschlüsse eine dritte Verwertungsmöglichkeit hinzu. Diese Steckt zwar immer noch in den Kinderschuhen, aber ihre Nutzung ist nachvollziehbar und wird in der nahen Zukunft wahrscheinlich rasant wachsen: Das Video on Demand (VOD).

Der Vertrieb und das Angebot audiovisueller Inhalte über das Internet nimmt gegenwärtig zu. Es beschränkt sich zwar auf wenige Anbieter mit nur kleinen Sortimenten, doch ist anzunehmen, dass das Angebot in Zukunft beträchtlich ausgebaut werden wird. Erschwerend für das VOD ist die fehlende Zahlungsbereitschaft der Zuschauer für über das Internet vertriebene Medienprodukte. Inhalte im Internet werden dann massenhaft geladen, wenn sie kostenfrei sind. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Mangelnde Qualität der Produkte oder die fehlende physische Präsenz werden zum Beispiel immer wieder als Problem benannt. Doch mit wachsenden Übertragungsraten werden diese Faktoren bald von kleinerer Bedeutung sein.

Mit der Online-Mediendistribution beschäftigte sich Thomas Nitschke. Es ist ein sehr ausführliches Werk, das aber schon heute – vier Jahre nach der Veröffentlichung – als teilweise veraltet betrachtet werden muss, weil sich die Internettechnologie extrem schnell weiter entwickelt (hat), so dass Buchpublikationen diesbezüglich selten von zeitgemäßen Wert sind.

Zwar macht die Online-Mediendistribution aktuell nur einen verschwindend geringen Bruchteil am Gesamtumsatz der TV-Serien aus, aber wenn man die Erfolge der einzelnen VOD-Anbieter betrachtet, dann kann man davon ausgehen, dass die Online-Mediendistribution in den nächsten Jahren eine große Rolle spielen wird. Gegenüber der traditionellen Distribution auf festen Datenträgern (wie DVDs) weist die Online-Mediendistribution nämlich mehrere Vorteile auf. Mit der Online-Mediendistribution ist ein neuer Absatzmarkt entstanden, der sich auf die Produktionsbudgets von TV-Serien auswirken kann. Denn gerade bei den neuartigen TV-Serien ist es für den Rezipienten wichtig, keine Episoden zu verpassen. Da einzelne Episoden im TV nur selten wiederholt werden können, ermöglicht das VOD den Zuschauern eine lückenlose Rezeption. Das bindet Zuschauer zusätzlich enger an die TV-Serien. Eine verpasste Folge kann durch VOD-Portale unmittelbar nach der Ausstrahlung abgerufen werden.

VOD muss in diesem Zusammenhang nicht zwangsläufig mit Kosten verbunden sein, denn die TV-Sender haben längst begriffen, dass sich auch mit kostenfreien Inhalten Geld verdienen lässt. Viele Internet-Besucherzahlen bedeuten viele Werbeeinnahmen, weil sie letztlich nichts anderes sind als Einschaltquote. Streng genommen gehören sämtliche im Internet von TV-Sendern bereit gestellten Medien ebenfalls zum VOD-Angebot, auch wenn sie kostenfrei sind (und auch wenn keine Werbungen geschaltet werden). Für TV-Sender ist es ohnehin aus marktrelevanten Umständen unumgänglich wenigstens einen Teil ihrer Medienprodukte im Internet ebenfalls anzubieten, wenn sie nicht im Konkurrenzkampf um Zuschauer das Nachsehen haben wollen.